Predigt von Uli Bandt | Ostersonntag 2024 | St. Remberti Bremen
Verschwörungsmythen
„Wir sind von dunklen Mächten umgeben, die unser Leben steuern und uns zu unterjochen versuchen! Was da in der Zeitung steht oder in den Nachrichten erzählt wird, dem kannst du schon lange nicht mehr trauen.
Oder glaubst du immer noch, dass John F. Kennedy Opfer eines normalen Mordes geworden ist und die Amerikaner tatsächlich auf dem Mond gelandet sind? Mit der Theorie von einem menschengemachten Klimawandel machen sich doch nur links-grüne Forscher die Taschen mit Fördergeldern voll. Und mit der ganzen Coronaimpferei wollen Bill Gates und die mit ihm verbündeten Großmagnaten uns einfache Menschen nur zu willfährigen Sklaven machen…!“
Verschwörungsmythen. Immer wenn die Krisen in der Welt einander ablösen, wenn die Großwetterlage immer undurchschaubarer und bedrohlicher wirkt, sprießen sie aus dem Boden und verbreiten sich wie eine Pest.
Zwar bieten solche Mythen ein untaugliches Werkzeug, um die Wirklichkeit als das zu erkennen, was sie ist. Doch die gesellschaftlichen Folgen ihrer Verbreitung sind real: Sozialwissenschaftliche Studien zeigen, dass Verschwörungsmythen das gesellschaftliche Vertrauen schmälern und die Bereitschaft zu sozialem und politischem Engagement untergraben. Und damit haben wir es heute massenhaft zu tun.
Als einen Mythos, übrigens, würde ich zunächst einmal ganz neutral eine Erzählung bezeichnen, die eine übergreifende und schlüssige Erklärung für große Zusammenhänge in der Welt vermittelt und uns damit Identität, Lebenssinn und Orientierung anbietet.
Frauen…
Es waren Frauen, die im Morgengrauen zum Ende des Sabbats als erste zum Grab kamen. Sehr verschieden sind die Berichte über das, was sie dort vorfinden bzw. erleben, aber alle sind in einem gleich: Die ersten Zeuginnen des leeren Grabes waren Frauen.
Als Zeuginnen waren und sind Frauen in patriarchalen Gesellschaften höchstens zweitklassig. Sollten die späteren Redakteure der Berichte an einer juristisch möglichst glaubwürdigen Schilderung der Auferstehung Jesu interessiert gewesen sein, hätten sie eigentlich die Frauen tilgen und durch handfeste Männerpersönlichkeiten, am besten aus dem engsten Jüngerkreis, ersetzen müssen. Aber sie taten es nicht. Und das ist wirklich bemerkenswert.
Entweder waren die vorhandenen mündlichen Überlieferungen schon so verbreitet, quasi unausrottbar, dass es unmöglich schien, sie zu tilgen, oder es ging den Verfassern der Evangelien gar nicht um eine historisch wasserdichte Darstellung des Auferstehungsgeschehens. (Immerhin unterscheiden sich alle Berichte vom Ostermorgen in Details: Bei Matthäus gibt es ein Erdbeben, ein Engel kommt vom Himmel, dessen Gestalt wie von Blitzen war. Bei Markus kommt der Engel nicht vom Himmel, sondern ein Jüngling im weißen Kleid sitzt im Grab und erklärt den entsetzten Frauen die Abwesenheit des Leichnams. Bei Lukas sind es zwei Männer, die kommen und die Auferstehung erklären. Und bei Johannes gibt es beim ersten Besuch der Frauen am Grab nichts von alledem…)
Ein neuer Mythos
Es geht nicht um eine Reportage, es geht um die Erzählung eines neuen Mythos. Keines Verschwörungsmythos, sondern eines Hoffnungsmythos.
Die Frauen bearbeiten ihren überwältigenden Schmerz, die Erfahrung der politischen Ungerechtigkeit und des Ausgeliefertseins an die Mächtigen dieser Welt aus Rom und Jerusalem, nicht mit einem Mythos über das Wirken dunkler Mächte, sondern mit einem Mythos über den Neuanfang des Lebens inmitten aller scheinbarer Hoffnungslosigkeit. Das ist ein ganz zögerlicher Prozess, der zunächst nichts Triumphales an sich hat.
Eigentlich ist es zunächst nur die Entscheidung: Wir deuten das erlebte Grauen nicht als den Sieg dunkler Mächte. Wir deuten den Mord an Jesus nicht als das blutige Ende seiner Ideale. Wir glauben dem Jesus trotz allem seinen Gott und werden deshalb alles, was geschieht, vor dem Horizont deuten, dass wir umgeben, begleitet, erwartet sind von einer großen alles umfassenden Liebe, die stärker ist als alle Gewaltherrscher dieser Welt und allen erlittenen Schmerz verwandelt zu einem neuen Sein.
Vor dem Hintergrund der Berichte über den Ostermorgen finde ich den Gedanken der Sühnopfertheologie, die davon ausgeht, dass der Gott Jesu ein Gott sei, der durch die Sündhaftigkeit der Menschen so sehr gekränkt ist, dass er ein stellvertretendes Opfer zu seiner Genugtuung braucht, nur fürchterlich. Das ist der Stoff aus dem Verschwörungsmythen gemacht sind, mit dem man Menschen klein macht und abhängig von den Verwaltern der Gnade Gottes und höherer theologischer Einsicht. So ist das über Jahrhunderte in den Kirchen gelaufen!
Aber unser christlicher Glaube fusst in der Entscheidung von Frauen, das Unerklärliche und Unfassbare nicht so zu erklären, dass wir zu hilflosen Objekten und Opfern übermächtiger, dunkler Mächte werden. Die Frauen entscheiden sich, handelnde Subjekte einer Hoffnungsgeschichte zu werden.
Sich entscheiden
Ganz langsam stolpern sie in diese Geschichte, in den Osterglauben, hinein. Da ist zunächst keine triumphale Sicherheit, aber Stück für Stück Zeichen einer neuen Hoffnung, für die sie sich entscheiden.
Fulbert Steffensky beschreibt das in einem Artikel über Ostern wunderbar (Publik-Forum 6/2024):
„Den Maria Magdalena im Garten sieht – ist es der Gärtner oder Jesus? Maria muss sich entscheiden. Nichts ist offensichtlich. Der mit den Jüngern nach Emmaus geht – ist es ein Wildfremder oder Jesus? Der da in der Dämmerung am See Tiberias steht – ist es irgendeiner oder ist es Jesus? Handgreiflich ist da nichts. Handgreiflich geht es nur zu in der plumpen Geschichte vom zweifelnden Thomas, der seine Hand in die Wundmale legen kann. Nur bei ihm wird der Glaube durch die Handgreiflichkeit ersetzt. Alle anderen Ostergeschichten sind Geschichten aus dem Morgengrauen. Man muss Christus in die Figuren hineinglauben, in den Gärtner, in den fremden Wanderer, in den Undeutlichen am See. Gott überwältigt uns nicht mit Blitz und Donner. Er lässt unserem Glauben etwas zu tun. Er lässt uns Subjekt sein bei der Osternachricht und nicht nur zusammengedonnerte Objekte.“
Ostern fordert von uns eine Entscheidung: Welchen Geschichten wollen wir glauben: Den Verschwörungsmythen, die uns autokratischen Herrschern in die Arme treiben wollen oder dem Hoffnungsmythos der Frauen am Grab, der uns weiter zu Subjekten der Geschichte macht in der Nachfolge Christi?
Mitri Raheb, palästinensischer Pfarrer in Bethlehem, beschließt seine Osterbotschaft, die mit bewegenden Bildern aus dem Gazastreifen und dem Westjordanland untermalt ist, mit folgenden Worten:
„Let this Easter mark not just a day of celebration but a day of mobilization, a day we choose to be catalyst for hope in action and a longlasting and just peace!“
„Lasst dieses Ostern nicht nur einen Festtag sein, sondern auch einen Tag der Mobilisierung. Ein Tag, an dem wir uns entscheiden Impulsgeber einer tätigen Hoffnung auf einen andauernden und gerechten Frieden zu sein.“
Wahrlich! Amen!