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Wie der Barlach nach Bremen kam

Zur Geschichte des Kruzifixes in der St. Remberti-Kirche

Vielen Gemeindemitgliedern ist das Kruzifix des bedeutenden expressionistischen Künstlers Ernst Barlach (geb. 1870 in Wedel bei Hamburg, gest. 1938 in Güstrow) ans Herz gewachsen. Es gehört zu Remberti, nicht weil es ein wertvolles Kunstwerk ist, sondern weil die von ihm ausgehende menschliche und religiöse Haltung viele Menschen berührt – in durchaus sehr unterschiedlichen Weisen. An dieser Stelle soll über die Entstehungsgeschichte des Werkes und seinen Weg in die Rembertigemeinde berichtet werden.
Anfang 1918, als bereits Millionen von Soldaten im Ersten Weltkrieg gefallen waren, schrieb das preußische Kultusministerium wohl auf Anregung der Kaiserin einen Wettbewerb für ein Kruzifix aus, das – als Serie in Eisen gegossen- auf deutschen Soldatengräbern im Osten aufgestellt werden sollte.
Ernst Barlach beteiligte sich an diesem Wettbewerb eher aus wirtschaftlichen Gründen und weil seine Freistellung vom Kriegsdienst dadurch verlängert werden konnte, als aus inhaltlicher oder künstlerischer Überzeugung. Die allgemeine deutsche Kriegsbegeisterung hatte ihn 1914 zwar auch erfasst, war aber sehr bald einer Ernüchterung und dezidiert pazifistischen Haltung gewichen. Er war künstlerisch zum Ankläger des durch den Krieg verursachten menschlichen Elends geworden. Das vertrug sich schlecht mit einer von den Auftraggebern mit Sicherheit erwarteten heroisierenden vaterländischen Christusdarstellung. Zudem hatte Barlach persönlich eine kirchenkritische freie Glaubensauffassung, aus der heraus ihm eine Kruzifixdarstellung Probleme bereiten musste (vgl. zur religiösen Haltung Barlachs den Aufsatz von W. Zoller). Barlach äußert sich in einem Brief 1918 dazu: „Der Christus hat mir manchen schweren Tag gemacht, aber am Ende hatte ich doch das Gefühl, dass er so sein müsste, wie er wurde.“
Barlach fertigte ein Gipsmodell an (Kruzifix I), das von der Wettbewerbskommission angenommen, auf Wunsch der Kaiserin aber „abgemildert“ werden sollte. Dem kam Barlach nach und erarbeitete ein zweites Gipsmodell (Kruzifix II), das die Grundlage aller heute existierenden Bronzegüsse geworden ist und im Güstrower Museum Gertrudenkapelle ausgestellt ist. Das Gipsmodell I galt nach 1945 zunächst als verschollen, tauchte aber im Kunsthandel wieder auf und befindet sich jetzt im Barlachhaus in Hamburg.
Durch die Niederlage des Deutschen Reiches, verbunden mit der Abschaffung der Monarchie
„erübrigte“ sich der Wettbewerb und das Modell II ruhte beim Künstler, dessen Bronzeplastiken und Holzskulpturen in den zwanziger Jahren recht große Beachtung fanden. Barlach konnte sich schon 1918 eine Verwendung des Kruzifixes auch in sakralen Räumen vorstellen, und so kam es 1931 zur ersten öffentlichen Aufstellung eines Bronzegusses des Kruzifixes II in der Marburger Elisabethkirche. Die ungewöhnliche Kreuzform mit den gebogenen Querbalken und nicht nach oben fortgeführtem Längsbalken geht auf einen Marburger Stadtbaurat zurück und war seinerzeit außerordentlich umstritten, in ästhetischer und theologischer Hinsicht. Barlach hat in diesen Streit nicht eingegriffen, diese Aufhängung offensichtlich toleriert. Sie wurde Vorbild für die Hängung der meisten Abgüsse.
Mit dem Erstarken des Nationalsozialismus geriet Barlachs Kunst als den vermeintlich deutschen Volksgeist zersetzend in die Kritik und wurde schließlich als „entartet“ gebrandmarkt. Das hatte zur Folge, dass seine Kunstwerke teilweise untertauchen mussten, um der Einschmelzung oder staatlichem Verkauf zu entgehen.
Im Laufe der 30er Jahre sind wohl mehrere Bronzegüsse des Kruzifixes II erfolgt. Fünf dieser frühen Güsse sind nach 1945 wieder aufgetaucht, aus zum Teil abenteuerlichen Verstecken. Alles spricht dafür, dass unser Exemplar zu diesen Güssen gehört: Es ist an der Fußstütze signiert („E. Barlach“) und erst jetzt entdeckte die Expertin vom Gerhard-Marcks-Haus eine Gussmarke („H. Noack Berlin“).
Vier der fünf Kruzifixe befinden sich heute in Kirchen: in der Elisabethkirche in Marburg, im Güstrower Dom, in der katholischen St. Georg-Kirche in Lübeck-Travemünde sowie in St. Remberti. In Wetzlar ist ein Exemplar in Privatbesitz (Leitz). Außerdem tauchte aus Privatbesitz ein weiteres Gipsmodell des Kruzifixes II auf, das sich heute in der katholischen Kirche St. Vicelin in Lübeck befindet. Inzwischen gibt es weitere Bronzegüsse; denn 2004 ist von Barlachs Erben eine zusätzliche Auflagenhöhe von zwölf Exemplaren herausgegeben worden.
Wie und wo die Kruzifixe aus Travemünde, Güstrow und Bremen die NS-Herrschaft und die Kriegszerstörungen überstanden haben, ist unklar. Vermutlich hat Barlachs Freund, Helfer und Kunsthändler Bernhard A. Böhmer vor und nach Barlachs Tod (1938) dabei eine führende Rolle gespielt. Ob unsere Christusfigur tatsächlich im Sand der Lüneburger Heide vergraben war, wie oft erzählt wird, muss letztlich offen bleiben.
Die Rembertigemeinde hat das Werk 1952 aus Hamburger Privatbesitz erworben. Die Verkaufsverhandlungen sind vom damaligen Verwaltenden Bauherrn Rudolf Blaum geführt worden. Ihm ist für den Weitblick zu danken, trotz knapper Kasse ein Jahr nach dem Neubau der Kirche dieses Werk für die Gemeinde und Bremen anzuschaffen. Die Sparkasse Bremen beteiligte sich mit einer Spende von 1.000 DM an den Kosten, der Finanzsenator bewilligte ein Darlehen von 4.500 DM. Das Holzkreuz wurde nach dem Vorbild des Marburger Kruzifixes aus altem Eichenholz gefertigt, aber in hellem Farbton passend zum Holz der Innenausstattung unserer Kirche. Bewusst nicht auf den Altar gestellt hängt das Kruzifix als Pendant zur Kanzel an der Abschlusswand zur Altarnische. Vor der roten Ziegelwand entfaltet es eine gänzlich andere Wirkung als etwa das Marburger Kreuz, das auf dem Altar steht und sich mit seiner dunklen Holzlasierung dem prächtigen gotischen Lettner dahinter sehr unterordnet. Dagegen zieht die Figur des gekreuzigten Christus in unserer Kirche den Blick des Eintretenden schnell auf sich.
„Was sehen wir? Dass Christus schweigt. Es ist nicht das Schweigen eines Toten, dessen Haupt geneigt ist und dessen Augen und Mund geschlossen sind; es ist das Schweigen eines Lebenden, eines Immer-noch-Lebendigen, der den Kopf aufrecht hält, damit er sieht, der Augen und Mund halb geöffnet hat, weil er sieht. Auf Göttliches wird hier nicht verwiesen. Christus schweigt, weil ihn die Unbegreiflichkeit Gottes und die unbegreiflichen Abgründe des Menschlichen ergriffen haben.“ (Pastor Hanno Keller)

Vor gut 20 Jahren hat Pastor em. Hanno Keller einen ausführlichen Aufsatz über das Barlach-Kruzifix geschrieben, zusammen mit einer kunsthistorischen und tiefgreifenden theologischen Interpretation des Werkes. Leider gibt es davon nur Kopien des handschriftlichen Manuskriptes. Diese Arbeit liegt meinen Ausführungen zugrunde; interessante Informationen lieferte auch der Aufsatz des Güstrower Literaturwissenschaftlers E. Neumann, der Recherchen zu den verschiedenen Güssen des Kruzifixes angestellt hat.

Hanno Keller, Das Kruzifix von Barlach in der St.Remberti – Kirche zu Bremen, 1988, Kopie der Handschrift
Erwin Neumann, Ernst Barlachs Kruzifixus ( 1918). Zur Geschichte seines frühesten Ehrenmals für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges, in: Jahrbuch Güstrow 2008
Wolfram Zoller, „Ich habe keinen Gott, aber Gott hat mich“, Ernst Barlach als Schriftsteller, Mystiker und freier Christ, in: Freies Christentum, Heft 1, 2010

Museen mit Barlachs Werken gibt es in Hamburg, Ratzburg, Wedel und Güstrow
Dörte Friemel

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