Vom Innehalten und Zuhören

von | 02. März 2025

Orgel: Präludium in g-Moll | Clara Schumann  

Solo und Gemeinde: Schweige und höre

Begrüßung

Psalm 31 (716)

Lied: Meine Zeit steht in deinen Händen

Gebet

Gloria-Kanon: Lobe den Herrn meine Seele

Lesung (Lukas 10, 38-42)

Maria und Marta

Als Jesus mit seinen Jüngern weiterzog, kam er in ein Dorf. Dort nahm ihn eine Frau als Gast bei sich auf. Ihr Name war Marta. Sie hatte eine Schwester, die Maria hieß. Die setzte sich zu Füßen des Herrn nieder und hörte ihm zu. Aber Marta war ganz davon in Anspruch genommen, sie zu bewirten. Schließlich stellte sie sich vor Jesus hin und sagte: »Herr, macht es dir nichts aus, dass mich meine Schwester allein dienen lässt? Sag ihr doch, dass sie mir helfen soll!« Aber der Herr antwortete: »Marta, Marta! Du bist so besorgt und machst dir Gedanken um so vieles. Aber nur eines ist wichtig: Maria hat das gute Los gewählt, das wird ihr niemand mehr wegnehmen.«

Lied: Herr, dein Wort, die edle Gabe (198)

Predigt

Maria sitzt zu Füßen von Jesus und hört zu – wie ein Schüler seinem Meister zuhört. Das ist erstmal unspektakulär. Der antike Philosoph Platon beschreibt in seinen Werken, wie die Schüler um Sokrates herumsaßen und aufmerksam lauschten. In Raffales Fresko, „die Schule von Athen“ aus dem Jahr 1511 stehen und sitzen Schüler, übrigens in antiker Manier ebenfalls barfuß wie Maria auf dem Bild von Vermeer, das vorne auf dem Liedblatt abgedruckt ist. Bei Raffael allerdings nicht kontemplativ wie hier auf dem Bild, sondern eher in gespannter Aufregung. Unter all den Philosophenschülern ist auf Raffaels Fresko auch eine Frau zu sehen, womöglich eine Hommage an die Mathematikerin und Philosophin Hypatía von Alexandria. Aber sie sticht heraus und gehört nicht selbstverständlich dazu. Denn in der griechischen und römischen Antike war es nicht üblich, dass Frauen sich bildeten und über Glauben und den Sinn des Lebens nachdachten. Frauen hatten Hausarbeit zu verrichten, wie Martha es tat.

Aber interessanterweise sind es häufig Frauen, die in den Evangelien, und besonders bei Lukas, verstehen und erkennen, gerade auch durch ihre Formen des Dienens. Es ist eine Frau, die am Abend vor Jesu Kreuzigung das teure Öl über Jesu Haupt gießt, um ihn zu salben wie einen König (Markus 14,3). Die Jünger entsetzen sich, Jesus verteidigt sie. Es sind Frauen, die nicht weglaufen, sondern in der Nähe des Kreuzigungsgeschehens ausharren (Joh 19,25), seine Beerdigung verfolgen und Salböl für den Toten vorbereiten (Lukas 23,55). Es ist eine Frau, die Jesus nach der Auferstehung zuerst erkennt (Joh 20,11 ff.).

Offensichtlich spielten Frauen in der Nachfolge Jesu eine wichtige Rolle. Offensichtlich soll die Botschaft vom Reich Gottes alte Rollenbilder aufbrechen und auch zwischen Mann und Frau für mehr Gerechtigkeit sorgen. Die Nachfolge, die Verkündigung und das Heilen von und durch Frauen ist im Lukasevangelium ein Zeichen des anbrechenden Gottesreiches (Lukas 10,1-12, vgl. Sabine Bieberstein). Dass sich in der Geschichte des Christentums wieder das Patriarchat, die Herrschaft des Mannes, durchgesetzt hat, kann nicht im Sinne der jesuanischen Botschaft gewesen sein.

Bei Maria und Martha handelt es sich um eine Konfliktgeschichte zweier Geschwister. Es gibt noch so eine Konfliktgeschichte zweier Geschwister im Lukasevangelium, die ich zur Verdeutlichung heranziehen will. Die beiden Brüder, die so unterschiedlich mit ihrem Erbe umgehen im Gleichnis vom Verlorenen Sohn. Der eine verliert sich im Verschwenderischen, der andere dient auf dem Hof. Auch hier tragen die Geschwister den Konflikt nicht miteinander aus, wie es gut wäre, sondern beschweren sich beim Vater. Auch hier durchbricht Jesus die Rollenbilder, stößt uns vor den Kopf mit seiner Botschaft.

Es ist doch richtig, zu dienen! Martha und der ältere Sohn, sie beide tun, was von ihnen erwartet wird, bestellen den Hof und sind gute Gastgeber. Dienen, διακονεῖν, steht da im griechischen Urtext über Marthas Tätigkeit. Dienen ist eigentlich positiv besetzt in den Evangelien. Im achten Kapitel beschreibt Lukas, dass auch die Frauen, die dienen (wieder διακονεῖν), das Wort Gottes hören und tun. Ihr Dienen beinhaltet auch mit Vollmacht zu verkündigen und zu heilen (Lukas 8, 1-3.21; 10,1-12). Dienen im Sinne des Wortes διακονεῖν gilt mit der Theologin Luise Schottroff als „ein programmatischer Begriff für die Lebensgestaltung von christlichen Frauen und Männern.“ Wer Hungrigen, Durstigen, Fremden, Nackten, Kranken und Gefangenen hilft (Matthäus 25,44), dient auch in diesem Sinn. Jesus selbst, der Herr der Welt, bezeichnet sich als einen Dienenden (Lukas 22,27) und dreht damit die Herrschaftsverhältnisse auf den Kopf.

Im Reich Gottes sollen Machtverhältnisse durchbrochen werden. Der Verzicht auf Macht ist der Anfang des Friedensreiches. Wir brauchen keine Putins und Trumps auf dieser Welt, sondern dienende Menschen, zuhörende Menschen, besonders, wenn ihnen die schwere Aufgabe zuteilwurde, ein Land zu regieren.

Aber zurück zu Martha: Auch das Dienen im Sinne des Versorgens erhält in den Evangelien eine Aufwertung: Wer im besten Sinne des Wortes dient, stellt das Bedürfnis des Anderen in den Mittelpunkt, und das eigene Handeln wird davon geleitet. Es geht um lebensförderliche Tätigkeiten. Noch wenige Zeilen vor der Erzählung von Maria und Martha sagt Jesus zu einer Schar von Anhängerinnen und Anhängern: „Wenn ihr in ein Haus kommt, sprecht zuerst: Friede sei diesem Hause! Und wenn dort ein Kind des Friedens ist, so wird euer Friede auf ihm ruhen; wenn aber nicht, so wird sich euer Friede wieder zu euch wenden. In demselben Haus aber bleibt, esst und trinkt, was man euch gibt; denn ein Arbeiter ist seines Lohnes wert. Ihr sollt nicht von einem Haus zum andern gehen.“ (Lukas 10, 5ff.)

Genau in dieser Weise kehrt  Jesus bei Martha ein und sie gibt ihm zu essen und zu trinken, damit er vom Reich Gottes erzählen kann. Was sie tut, ist also notwendig und wichtig. Aber scheinbar bedeutet dieses Dienen auch, auf Anerkennung zu verzichten. Denn gelobt wird das anstößige Verhalten in beiden Geschwisterkonflikten. Ein Sohn, der sein Erbe verprasst und dann reuig zu seinem Vater zurückkehrt. Eine Frau, die Hausarbeit andere machen lässt und einfach nur dasitzt und zuhört.

Wie sollen wir das verstehen? Was ist die eigentliche Aussage hinter diesen Konfliktgeschichten? Es wäre banal, nur die Geschlechterrollen oder die Familienverhältnisse auszulegen, darum geht es nicht. Dahinter steckt mehr. Ich deute es so:

Immer dann, wenn das Wesentliche erkannt wird, scheint das Reich Gottes auf, wird das Leben in all seinem Potenzial deutlich. Und das Wesentliche ist hier die Erkenntnis, dass Gott in Jesus Christus nahbar geworden ist, dass er sich zu den Menschen herabbegeben hat, um seinen Frieden anbrechen zu lassen, den wahren Frieden, der ganz klein beginnt. Es ist die Erkenntnis, dass Gott barmherzig ist, dass Umkehr möglich ist, dass nichts so bleiben muss, wie es ist.

Der Verlorene Sohn erkennt das im richtigen Moment. Er muss nicht bei den Schweinen im Stall sterben, er kann leben! Sein Vater wird ihm vergeben wie der Vater im Himmel! Also geht er zurück nach Hause und wird mit offenen Armen willkommen geheißen. Sein Bruder versteht das nicht, hat die festgeschriebenen Rollenbilder im Kopf, was richtig und falsch ist, und verurteilt den Heimkehrer, der sein Erbe verprasst hat und jetzt wieder angekrochen kommt. Martha versteht Maria auch nicht. Sie ist gefangen in der Vorstellung, was richtig und falsch ist, wie ein Gast zu bewirten und was im Haus zu tun ist.

Maria aber hält inne und hört zu, sie erkennt die Kostbarkeit des Moments, versteht, dass Jesus nur eine kurze Zeit unter ihnen sein wird. Nirgendwo ist gesagt, dass Maria zu anderen Gelegenheiten nicht eine ebenso gute Gastgeberin ist wie ihre Schwester, dass sie auch auf diese Weise „dienen“ kann wie andere Männer und Frauen. Die Rollen sind nicht festgeschrieben. Beim Evangelisten Johannes ist Martha es, die den Gottessohn erkennt und das ausspricht. Aber hier hat Maria „das gute Los gewählt“, wie es in der Erzählung heißt. Denn sie hat, wie der Verlorene Sohn, die Gabe, das Vorgegebene zu durchbrechen, Pflicht oder Schamgefühl oder Verlust von Anerkennung hinter sich zu lassen, um im entscheidenden Moment das Wesentliche zu tun: zuhören, umkehren, das Wahre erkennen.

Damit auch wir offen sind für Gottes Zeichen in der Welt, müssen wir immer wieder innehalten, Augen und Ohren offenhalten, die Kostbarkeit eines Moments erfassen wie Maria und der Verlorene Sohn. Oft sind wir gefangen in der Betriebsamkeit, im Erfüllen unserer Pflichten, in unseren Sorgen und Nöten, in den Rollen, die uns zugeschrieben sind. Gute Schüler sein, eine gute Mutter, ein guter Vater sein, fleißig arbeiten, hübsch aussehen, alles sauber halten. Aber manchmal gilt es, auszubrechen aus dem Vorgegebenen, damit Neues entstehen kann, damit Leben sich entfalten kann.

Am Mittwoch beginnt die Passionszeit. Vierzig Tage lang – ebenso lange wie Jesus in der Kargheit der Wüste war, bevor er sein Wirken unter den Menschen begann. Für uns eine Zeit der Besinnung, sich auf das Wesentliche konzentrieren, sich innerlich vorbereiten auf das, was kommt, auf Karfreitag und Ostern, auf den Schmerz also über die Bosheit dieser Welt und auf die überraschende Wendung: Gott verwandelt das Hoffnungslose in Hoffnung, lässt Leben auferstehen, wo alles verloren schien. Wir sind eingeladen, die kommenden vierzig Tage zu nutzen, um selbst innezuhalten in unserer Geschäftigkeit – um zuzuhören, zu lauschen, wie Maria. Wir sind eingeladen, in der weltpolitischen Katastrophe dieser Tage und Wochen mal einen Stopp zu machen und Oasen der Hoffnung zu suchen.

Wenn wir ein wenig Stille halten, singen und beten, dann schärfen wir unsere Sinne für das Wesentliche, dann kann Gott bei uns einkehren, dann ist Umkehr möglich, dann kann viel Gutes geschehen, dann können wir des Himmels reichen Segen empfangen (vgl. EG 369). Amen.

Lied: Wer nur den lieben Gott lässt walten (369,1-4.7)

Fürbitten und Vaterunser

Bekanntgaben

Lied: Behüte mich, Gott (Taizé)

Segen

Orgel: Even Song | Kate Emma Boundy

Bildquelle: Jan Vermeer (1654), in: Wikipedia: Christus bei Maria und Martha

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