Du bist heilig

von | 25. August 2024

Gottesdienst am 13. So. n. Trinitatis 2024

Bildquelle: Rolf Orfgen

Orgelmusik zum Eingang

Begrüßung

Im Namen Gottes, Schöpfer der Welt, Liebe, die bewegt, Geist, der verbindet. Amen.

„Du bist heilig“, steht da auf dem Liedblatt vorne drauf. Und darunter ein Bild von Pablo Picasso: Kind mit Taube. Zwischen dem Kind und der Taube besteht eine Verbundenheit: Beide sind in ein schlichtes Weiß gekleidet, die Farbe der Reinheit und Unschuld. Das Kind ist im Frieden mit seiner Welt. Aber es muss die Taube früher oder später wieder fliegen lassen, muss loslassen und Freiheit möglich machen.

Der heutige Bibeltext aus dem Alten Testament zeigt, wie ein geheiligtes Leben aussehen kann, ein Leben in tiefster Solidarität und Liebe zu Gott und den Menschen. Der Mensch als Tempel Gottes. So singen wir auch im folgenden Lied: Tut mir auf die schöne Pforte.

Lied: Tut mir auf die schöne Pforte (Nr. 166,1-3)

Psalm 112 (Nr. 744.1)

Kyrie-Lied

Gebet

Gloria-Kanon: Lobe den Herrn meine Seele

Lesung: Auszüge aus 3. Mose 19 in eigener Übersetzung

Gott sprach zu Mose und sagte: Rede zu der ganzen Gemeinde der Israeliten und sage ihnen: Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der Herr, euer Gott. Jeder von euch soll seiner Mutter und seinem Vater mit Ehrfurcht begegnen, und meinen Ruhetag sollt ihr beachten.

Ich bin der, der immer da ist, euer Gott.

Du sollst deinen Nächsten nicht unterdrücken und ihn nicht ausbeuten. Du sollst den Arbeitslohn eines Tagelöhners nicht bei dir behalten bis zum nächsten Morgen. Du sollst Gehörlosen nicht mit Worten schaden und du sollst nicht ein Hindernis errichten vor einem Blinden. Du sollst Ehrfurcht haben vor deinem Gott.

Ich bin der, der immer da ist, euer Gott.

Bei Gericht soll es nicht ungerecht zugehen. Du sollst den Bedürftigen nicht bevorzugen, aber auch den Mächtigen nicht begünstigen. Nach dem Grundsatz der Gerechtigkeit sollst du Recht sprechen für die Gemeinschaft deines Volkes. Verbreite keine üble Nachrede. Geh auch nicht hin, um das Leben deines Nächsten zu fordern!

Ich bin der, der immer da ist, euer Gott.

In deinem Herzen soll es keinen Platz für Hass geben: Hasse deinen Bruder und deine Schwester nicht! Du sollst eintreten für deinen Nächsten, damit du nicht Schuld auf dich lädst seinetwegen. Du sollst dich nicht rächen, und du sollst nicht aus Groll handeln über deine Mitmenschen, sondern du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.

Ich bin der, der immer da ist, euer Gott.

Und wenn ein Fremdling in eurem Land als Schutzbürger wohnt, dann sollt ihr ihn nicht bedrücken. Wie einen Einheimischen sollt ihr den Fremden ansehen, der bei euch lebt. Du sollst ihn lieben wie dich selbst. Denn im Land Ägypten seid auch ihr Fremde gewesen.

Ich bin der, der immer da ist, euer Gott.

Lied: Damit aus Fremden Freunde werden (Nr. 619)

Predigt

Meine Konfirmandinnen und Konfirmanden müssen eigentlich nie etwas auswendig lernen im Konfirmandenunterricht. Ich habe gelernt, dass das nicht mehr zeitgemäß ist. Weder Psalm 23 noch das Glaubensbekenntnis, ganz zu schweigen vom kleinen Katechismus. Das ist die Schule aus dem letzten Jahrhundert. Aber diese Woche müssen sie tatsächlich etwas auswendig lernen: die zehn Gebote. Sie haben etwas gestöhnt, aber da gibt es keine Diskussion.

Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben: Das erste Gebot. Du sollst kein Gottesbild verehren, den Namen Gottes nicht missbrauchen, den Ruhetag heiligen. Diese Gebote regeln das Verhältnis Gottes mit den Menschen.

Und dann folgen die Gebote, die das Verhältnis der Menschen untereinander regeln: Du sollst Vater und Mutter ehren, nicht töten, nicht ehebrechen, nicht stehlen, nicht lügen, nicht begehren, was einem anderen gehört.

Ich habe ihnen gesagt, dass diese Gebote eine Weisung zum Guten Leben sind. Eine Orientierung, an der wir unser Handeln ausrichten sollen. Würden alle Menschen diese Gebote beachten, hätten wir Frieden in der Welt und wir würden uns gegenseitig nicht ständig so verletzen. Wir bräuchten im Grunde auch keine Polizei, keine Gefängnisse, keine Zäune und Mauern. Es wäre die große Freiheit. Weil wir aber Mensch sind und begrenzt in unserer Großherzigkeit und Liebesfähigkeit, und weil manche grausam sind und machtbesessen, können wir die Gebote nicht immer einhalten. Sie bleiben Wegmarker in der Ferne, zu denen wir uns immer wieder neu aufmachen können.

P. und J. haben vorhin aus dem 3. Buch Mose, dem Buch Leviticus, vorgelesen. Historisch ist diese Schrift relativ spät entstanden. Das kleine jüdische Volk war zerschlagen worden von den Assyrern und erst mit der neuen Macht der Perser im 6. und 5. Jahrhundert vor Christus konnten sie sich wieder ansiedeln in ihrem alten Gebiet Juda, rund um Jerusalem und eine neue Gemeinschaft aufbauen. Diese Gemeinschaft wollte von vorne anfangen und auf einem Gesetz gründen, das für Solidarität und Frieden im Umkreis des Heiligtums des Jerusalemer Tempels sorgt.

Sie sahen sich in besonderer Weise auserwählt, ein geheiligtes Leben im Angesicht der Heiligkeit Gottes zu führen, sozusagen stellvertretend und exemplarisch für die ganze Welt. Und so schufen sie für sich das Heiligkeitsgesetz. Es legt die zehn Gebote aus und geht noch darüber hinaus.

Die Menschen in Juda werden in der Bibelstelle erinnert, dass ihre Existenz auf einem Befreiungsakt fußt: Unser Gott hat uns einst aus der Sklaverei befreit und in das Gelobte Land geführt. Unser Gott ist einer, der aus der Enge in die Weite führt. Niemals dürfen wir das vergessen. Es ist der Gott, dessen Name bedeutet: „Ich bin der Ich-Werde-Da-Sein“ oder auch: „Ich bin der, der immer da ist“.

Heiliges Leben fängt in der Solidarität der Familie an. Wer Vater und Mutter ehrt, sie mit Respekt und Zuneigung behandelt, der hat eine Basis, ein Fundament, von dem aus wir starten können.

Der Ruhetag ist essenziell für unser Menschsein. Wir brauchen besondere Zeiten, die herausgehoben sind aus dem Alltag, aus der Geschäftigkeit, aus dem Immergleichen. Die Ordnung der Zeiten im Tages-, Wochen- und Jahresrhythmus gibt uns Struktur, gibt uns sogar eine Sinn-Struktur. An einem Tag in der Woche soll es um die Heiligung des Lebens gehen, um die Würde des Menschen, um Gott, dessen Tempel wir sein dürfen. Der Ruhetag gilt im Übrigen auch der Natur: auch sie soll sich demnach ausruhen dürfen. Und dann braucht ein geheiligtes Leben Regeln des Rechts, Regeln, die ethische Grundsätze solidarischen Lebens aufbauen.

Heute würden wir sagen, es ist eine sozialistische Ordnung, die dieses kleine Volk anstrebte: Die Mitglieder der Gesellschaft sind unter dem Ethos der Brüderlichkeit, der Geschwisterlichkeit, einander gleichgestellt. Im 25. Kapitel des Buches wird gesagt: „Alles Land gehört Gott und alle Menschen sind Gäste, Fremde und Schutzbürger Gottes auf Erden (Lev 25,23–24). Darum muss regelmäßig nach 7×7 Jahren eine neue, am Sabbat orientierte Gerechtigkeitsordnung hergestellt werden, in der alle Menschen der Gesellschaft die gleichen ihnen zustehenden Lebensgrundlagen erhalten. Im fünfzigsten Jahr erschallt das Jobel-Horn, und es wird ein Jobeljahr („Jubeljahr“) ausgerufen. Alle Schulden sind erlassen, und alle erhalten wieder neu ein Stück Land, das ihnen zusteht (Lev 25)“. (vgl. Reinhard Achenbach, Exegese für die Predigt).

Die Solidarität der Generationen ist Grundlage für soziale Sicherung und für das ökologische Gleichgewicht der Natur. Ökonomische Interessen müssen sich an der Solidarität der Gemeinschaft messen.

Im geheiligten Volk ist kein Platz für Ausbeutung und Unterdrückung und Habgier. Menschen mit Einschränkungen dürfen nicht benachteiligt werden. In vielen Gesellschaften der Antike galt das Prinzip der Blutrache und Vergeltung. Nicht so im geheiligten Volk am Jerusalemer Tempel. Hier soll Strafe angemessen sein. Auch der Mitmensch, der an seinen Nächsten durch schlimmste Vergehen schuldig geworden ist, gilt als Nächster und auch für ihn gilt also das gleiche Gesetz wie für alle anderen. Und dann steht da: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“

Ja, das ist ein Satz aus dem Alten Testament. Es ist der Grundsatz jüdischen Glaubens. Nicht Jesus hat die Nächstenliebe erfunden. Er hat sie in der Bergpredigt und in seinem Handeln nur wieder in Erinnerung gerufen.

Letzte Woche haben wir im Konfirmandenunterricht eine Art Activity gespielt und darin habe ich Begriffe rund um den Themenkomplex der Zehn Gebote eingeführt. In jeder der vier Konfirmandengruppen gab es Schwierigkeiten beim Erklären von dem Begriff „Nächstenliebe“. Einer Umfrage des Radiosenders EKN-Rundfunks in Hannover zufolge wissen auch Menschen auf der Straße nichts mehr mit diesem Begriff anzufangen. Die Befragten dachten, der „Nächste“ sei ihr Nachbar oder der, der neben ihnen steht. Die Grundbegriffe des Christentums sind verlorengegangen. Aber nicht ihre Bedeutung, die bleibt. Ich hänge nicht an dem alten Wort. Lasst uns doch einfach sagen: Liebe deinen Mitmenschen, wie dich selbst. Dann ist hoffentlich klar, was gemeint ist: Jeder, der Mensch ist, ist dein Mitmensch.

Das Heiligkeitsgesetz hat sich vor 2.500 Jahren eine kleine Gruppe jüdischer Gläubiger in Jerusalem gegeben. Es beinhaltet neben den genannten ethischen Geboten eine nicht enden wollende Reihe an Reinheitsgeboten und kultischen Regeln, die nur für diese Gemeinschaft galt. Aber in seinen Regeln zum Umgang miteinander ist das Heiligkeitsgesetz ein Weg, eine Orientierung für das Gute Leben jedes Einzelnen und aller Gemeinschaften, bis heute.

Weder Juden noch Christen noch andere Religionsgemeinschaften können von sich behaupten, moralisch besser zu sein, erhaben über anders- oder nichtreligiöse Menschen. Grausame Verbrechen haben in der Geschichte der großen Religionsgemeinschaften stattgefunden und finden noch heute statt. Die Gebote werden gebrochen, überall und täglich.

Wir haben also nicht das Recht, mit erhobenem Zeigefinger auf andere zu zeigen. Wir müssen selbstkritisch feststellen, dass wir immer nur auf dem Weg sind hin zu diesen Geboten der Solidarität. Und wir müssen wieder neu lernen, dass wir einen starken moralischen Kompass brauchen, um in Frieden miteinander leben zu können, vielleicht mehr denn je.

Das Kind mit der Taube von Pablo Picasso ist voller Unschuld. In seinem Herzen scheint Gott Wohnung genommen zu haben. Es wirkt nicht ganz unbeschwert, ich sehe da auch Trauer. Aber in ihm, dem Kind, wird all unsere Menschlichkeit und Verletzlichkeit augenscheinlich. Wir alle tragen dieses Kind in uns.

Im jüdischen und christlichen Glauben ist die Heiligkeit Gottes der Anfang allen Nachdenkens über das Gute Leben. Im Glauben an Gottes Heiligkeit und seine Liebe, die niemals endet, die aus der Angst befreit und in die Freiheit führt, ist das Nachdenken über Menschlichkeit allererst begründet.

In dem Opfer, das Jesus Christus am Kreuz gebracht hat, erkennen wir unsere menschliche Schwäche, die Schlechtigkeit und Bosheit, die so viel Übel anrichtet: unsere Schuld. In Christi Auferstehung ist gesagt: Gott vergibt uns. Im Glauben verwandelt er das Totbringende in Lebenschaffendes, in Lichtbringendes, in Heil.

Lasst uns immer wieder neu auf den Weg machen dorthin. Amen.

Lied: Du bist heilig

Fürbitten mit Zwischengesang

Vaterunser

Bekanntgaben

Lied: Komm, Herr, segne uns (Nr. 170)

Segen

Orgelmusik zum Hinausbegleiten 

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