Wer führt uns in der Freiheit?

von | 20. Juli 2024

Vorspiel: J.J. Mouret | Rondeau

Begrüßung

Lied: Geh aus, mein Herz (EG 503, 1-3.14-15)

Gebet

Kyrie-Lied: Meine engen Grenzen

Psalm 107,1-9

Lied: Großer Gott, wir loben dich (EG 331,1-3)

Lesung (Ex 16, 1-3.11-18)

Und es murrte die ganze Gemeinde der Israeliten wider Mose und Aaron in der Wüste. Und die Israeliten sprachen: Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben durch des Herrn Hand, als wir bei den Fleischtöpfen saßen und hatten Brot die Fülle zu essen. Denn ihr habt uns dazu herausgeführt in diese Wüste, dass ihr diese ganze Gemeinde an Hunger sterben lasst.

Und der Herr sprach zu Mose: Ich habe das Murren der Israeliten gehört. Sage ihnen: Gegen Abend sollt ihr Fleisch zu essen haben und am Morgen von Brot satt werden und sollt innewerden, dass ich, der Herr, euer Gott bin. Und am Abend kamen Wachteln herauf und bedeckten das Lager. Und am Morgen lag Tau rings um das Lager. Und als der Tau weg war, siehe, da lag’s in der Wüste rund und klein wie Reif auf der Erde. Und als es die Israeliten sahen, sprachen sie untereinander: Man hu? Denn sie wussten nicht, was es war. Mose aber sprach zu ihnen: Es ist das Brot, das euch der Herr zu essen gegeben hat.

Das ist’s aber, was der Herr geboten hat: Ein jeder sammle, so viel er zum Essen braucht, einen Krug voll für jeden nach der Zahl der Leute in seinem Zelte. Und die Israeliten taten’s und sammelten, einer viel, der andere wenig. Aber als man’s nachmaß, hatte der nicht darüber, der viel gesammelt hatte, und der nicht darunter, der wenig gesammelt hatte. Jeder hatte gesammelt, so viel er zum Essen brauchte.

Musik: Niels Gade | Novelette 

Predigt

Hören Sie zum Einstieg eine kurze Geschichte:

Heute ist der erste Tag meines neuen Lebens. Ich trage eine Jeans, ein Shirt mit der Aufschrift „Freiheit für alle“, Sneaker. Im Rucksack sind meine Papiere und ein bisschen Bares. Hinter mir knarzen die Tore, eine Tür fällt ins Schloss. Es nieselt, das hatte ich mir anders vorgestellt. Ich warte an der Bushaltestelle. Zuerst zum Meldeamt, dann ein Bankkonto eröffnen, dann eine Wohnung finden. Ich habe mir alles zurechtgelegt. Sieben Jahre Gefängnis liegen hinter mir. Hatte ne Bank überfallen, brauchte Geld. Jetzt der Neuanfang.

Ich beginne beim Meldeamt, die geben mir aber keinen Bescheid ohne Vorweis einer Wohnung. Die Vermieter hätten mir das Zimmer gegeben, aber ohne Bankkonto kann ich die Kaution nicht überweisen. Die erste Nacht verbringe ich auf der Straße. Morgen ist ein neuer Tag. Ich probiere es wieder und wieder. Bei der Tafel-Ausgabe sagen sie, man soll nur so viel nehmen, wie man für einen Tag braucht. Aber die anderen häufen ja auch, also packe ich zu. Man kann ja nie wissen. Ich überesse mich an Ravioli aus der Dose und muss mich übergeben. So elend habe ich mich in den letzten sieben Jahren nie gefühlt. Ich hatte einen Zimmernachbarn, einen geregelten Tagesablauf, drei Mahlzeiten am Tag, Bücher, Kartenspiele. Und da kommt mir die zündende Idee: Ich überfalle eine Bank. Es dauert nicht lange und die Polizei hat mich ergriffen. Die Haftstrafe: sieben Jahre Gefängnis. Irgendwie bin ich erleichtert.

Liebe Gemeinde, Freiheit ist die Sehnsucht der Gefangenen. Aber Freiheit ist zugleich eine Anforderung, der wir uns stellen müssen. Freiheit fordert sehr viel von uns.

Wie der Inhaftierte, so sehnte sich auch das Volk Israel nach Freiheit. Der biblische Exodus im zweiten Buch Mose ist eine existenzielle Freiheits-Erzählung. Sie beschreibt das zentrale Heilsgeschehen Gottes mit seinem Volk Israel: Gott ist einer, der rettet und befreit. Über Generationen waren die Israeliten der Exodus-Erzählung nach versklavt worden und mussten für die ägyptische Oberschicht hart schuften. Niemanden interessierten ihre Klagen, niemand hörte ihnen zu. Als Gefangener hast du keine Rechte. Bis Mose kam und sie im Auftrag Gottes aus der Sklaverei befreite. Die ägyptischen Streitkräfte verfolgten sie, aber Gott teilte das Meer und ließ die Unterdrückten und Versklavten hindurchschreiten, die Verfolger aber ließ er ertrinken. (Historisch gesehen kann es durchaus eine Gruppe von Semiten gegeben haben, die unter Pharao Ramses II um 1.200 v. Chr. versklavt worden waren und durch die Wüste Sinai geflohen sind. Aber entscheidend ist, dass diese Erzählung zu einer existenziellen Freiheitserfahrung geworden ist.) Die Israeliten sind also gerettet, sie sind frei. Und was jetzt?

Wie finde ich mich zurecht, wenn ich plötzlich meine Häftlingskleidung abgelegt habe und selbst über mich bestimmen darf? Wie ist das, wenn meine Stimme plötzlich gehört wird und zählt? Was hat diese Stimme zu sagen? Was bedeutet Freiheit für mich? Überlegen Sie mal: Was wäre das Erste, das sie tun würden, wenn sie nach Jahren aus dem Gefängnis kämen? Wer noch Familie und Freunde hat, wird die vielleicht besuchen gehen. Aber dann, was dann?

Der frisch Entlassene aus meiner Geschichte kam nicht klar. Das System konnte ihm nicht helfen, seine Freiheit auszuleben. Er entschied sich für die Gefangenschaft und fühlte sich dort freier als draußen.

In der jüngeren Geschichte sehen wir immer wieder Rückschläge von Freiheit. Was war der arabische Frühling 2011 ff. für ein Erwachen, was für ein Drang nach Freiheit war da plötzlich zu spüren! Junge Araberinnen und Araber demonstrierten für mehr Rechte und Selbstbestimmung, in Ägypten, Libyen, Marokko und anderswo. Viele ließen ihr Leben dafür. Es ist quasi nichts mehr davon übrig, die Aufstände wurden brutal zerschlagen.

Fünfunddreißig Jahre nach dem Mauerfall wählt Ostdeutschland eine Partei, die Freiheitsrechte massiv einschränken möchte. Und damit sind sie nicht allein. In ganz Europa gewinnen rechte und nationalkonservative Parteien Stimmen. Ihnen ist eines gemeinsam: Sie begreifen Freiheit als Ort maximaler Sicherheit und kultureller Einheit. Ihre Antwort ist der Nationalismus, sie suchen Lösungen in der nationalen Identität. Zwei Weltkriege hat diese Ideologie bereits ausgelöst. Hier kann wahre Freiheit nicht liegen.

Der frisch Entlassene aus meiner Geschichte entschied sich, zurück ins Gefängnis zu gehen, weil er sich dort freier fühlte als so Alleingelassen im Dickicht der Selbstverwaltung. Wer führt uns in der Freiheit?

In der biblischen Befreiungsgeschichte vom Exodus heißt es: Das Volk „murrt“ gegen Mose und seinen Bruder. Es beschwert sich bei den Anführern und sehnt sich zurück ins Gefängnis, zurück nach Ägypten, wo es sicherlich nicht reichlich Fleischtöpfe gab, aber gerade genug, um arbeitsfähig zu sein. In Ägypten unter den Pharaonen war das Leben geregelt, ihr Platz war klar, sie wussten, was zu tun ist.

Als in Ostdeutschland der Sozialismus zusammenbrach, musste eine ganze Generation lernen, mit dem westdeutschen Konsum- und Freiheitsdenken umzugehen. Viele sehnten sich zurück in ein Regelwerk, das Gleichheit für alle anstrebte. Und irgendwann erkannte man ja auch, dass der westliche Konsum gar nicht frei macht, sondern ebenfalls bindet. Was brauche ich und wieviel? Das muss man erstmal herausfinden. Gerade lernen wir, wie schädlich bspw. die übermäßige Nutzung von Handys ist, gerade für Kinder. Sie macht unkreativ, lässt seelisch verarmen, macht körperlich krank. Sie macht unfrei. Auch hier müssen wir lernen, was wir brauchen und wieviel.

Das Volk Israel bekommt in der Geschichte, wonach es bittet. Gott ist gnädig mit den frisch Entlassenen und nimmt sie an die Hand. Sie müssen erst lernen, mit der Freiheit klarzukommen: „Ich habe das Murren der Israeliten gehört. Sage ihnen: Gegen Abend sollt ihr Fleisch zu essen haben und am Morgen von Brot satt werden und sollt innewerden, dass ich, der Herr, euer Gott bin.“ Nun haben sie also geregelte Mahlzeiten: abends Wachtel-Fleisch und morgens Süßes Manna wie Brot.

Aber es braucht noch mehr Regelwerk, damit sie klarkommen. Gott ordnet an: „Ein jeder sammle, so viel er zum Essen braucht, einen Krug voll für jeden nach der Zahl der Leute in seinem Zelte. Und die Israeliten taten’s und sammelten, einer viel, der andere wenig. Aber als man’s nachmaß, hatte der nicht darüber, der viel gesammelt hatte, und der nicht darunter, der wenig gesammelt hatte. Jeder hatte gesammelt, so viel er zum Essen brauchte.“

Es wird nochmal spannend im Lauf dieser Freiheitsgeschichte, denn die Menschen halten sich nicht an die Regeln und wollen mehr, als sie brauchen. Wie der aus dem Gefängnis Entlassene, der sich dann an den Ravioli überisst. Die Portionen im Gefängnis waren immer gerade genug.  

Ich hatte meine erste Lebenskrise nach dem Abitur. Auf einmal so viel Freiheit, der Tag musste strukturiert werden und ich musste unter den unendlich vielen Möglichkeiten wählen, wie ich meine Zukunft planen möchte. Gar nicht so angenehm, diese Entlassung aus der Schule. Und dann auch wieder schon. Ich stelle mir vor, dass spätestens der Eintritt ins Rentenalter auch nochmal diese Frage aufwirft: was mache ich mit der neu gewonnenen Freiheit? Was brauche ich, um seelisch satt zu sein?

Das Volk Israel sehnte sich nach dem Gelobten Land, nach einem Ort der Selbstbestimmung, nach einem Ort, an dem nicht Unterdrückung und harte Arbeit ihr Leben bestimmen, sondern der Lobpreis Gottes. Aber erst musste es die Wüstenzeit überstehen. So, wie wir alle. Es musste lernen, dass Freiheit immer eine Freiheit zu und eine Freiheit von etwas ist. Sie waren jetzt frei von Sklaverei, aber zu was befähigt sie das nun? Wie geht man als freier Mensch miteinander um? Wieviel brauche ich, wenn ich wählen kann?

Ich lade Sie zu einem Gedankenexperiment ein. Wer mag, schließe dazu die Augen. Überlegen Sie einmal, was Sie machen würden, wenn Sie alle Freiheiten der Welt hätten, viel Geld, Gesundheit, freie Wahl ihrer Beziehungen und Umgebung. Wo wären Sie? Was würden Sie tun? Wären Sie auf Reisen? Würden Sie sich sozial engagieren? Den ganzen Tag schlafen? Oder ihrer Arbeit nachgehen, weil Sie sie lieben? Wer wäre bei Ihnen?

Die Bibel gibt sehr klare Antworten auf die Frage menschlicher Freiheit. In der Wüste lernt das Volk, dass es eine Menge Regeln braucht, damit Menschen bestmöglich in Freiheit leben können. Die Gebote sind Weisungen zum guten Leben: Du sollst nicht töten. Du sollt nicht stehlen. Du sollst nicht begehren, was anderen gehört. Du sollst deine Familie achten… Aber eine Freiheitsregel ist die allerwichtigste: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft und deinem ganzen Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst. (Lk 10,27 nach Dtn 6,5; Lev 19,18). Wer diese Regeln befolgt, nicht die Götter der Kosmetik oder des Konsums anbetet und mit seiner Liebe nicht an sich hält, sondern mit anderen fühlt, der ist in seiner Wüstenwanderung schon ein ganzes Stück weiter, der ist nahe dem Gelobten Land, der wahren Freiheit. Wer dort ist, hat dann vielleicht auch den Blick für einen frisch aus dem Gefängnis Entlassenen und könnte bei den ersten Schritten in die Freiheit beistehen.

Im Johannesevangelium spielt Jesus einmal auf diese Manna-Speisung in der Wüste an und sagt zu den Leuten: Ich gebe euch das wahre Brot vom Himmel. Es wird euch satt machen und ihr müsst nicht mehr dürsten. Dieses Himmelsbrot ist der Glaube an den rettenden und befreienden Gott, der dir gibt zu seiner Zeit. Beim Abendmahl erinnern Christen an dieses Himmelsgeschenk, das in die Freiheit führt. 

Ob im Sozialismus oder im Kapitalismus, ob im Gefängnis oder in der Sklaverei, ob völlig ‚lost‘ nach der Schule oder in der Orientierungsphase nach dem Arbeitsleben, es gibt eine Freiheit, die uns niemand rauben kann. Und das ist die Freiheit im Glauben. Jesus Christus sagt, sie führt uns zum Ewigen Leben, was immer das sein mag. Wenn ich meine Augen schließe und mir wahre Freiheit vorstelle, dann ist es ein Ort, an dem ich nicht hungere und dürste nach irgendetwas. Ein Ort, an dem ich Gott lobe und preise für das Leben, das mir geschenkt ist, für den Weg, den er mir weist, für die Angst, die er vertreibt. Amen.

Lied: Ich lobe meinen Gott (EG 585)

Fürbitten und Vaterunser

Bekanntgaben

Lied: Komm, Herr, segne uns (EG 170)

Segen

Musik: Broadway Baby; Stompin’ at the Savoy

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