Wo wohnt Gott? | Esther Joas

von | 31. Juli 2023

Orgelmusik zum Eingang

Begrüßung

Lied: Geh aus, mein Herz (Gesangbuch, Nr. 503, 1.2.14.15)

Psalm 27 (Gesangbuch, Nr. 714)

Kyrie-Lied

Einführung zum Gloria

Gebet

Gloria-Kanon: Lobe den Herrn meine Seele

Lesung:  Matthäus 5, 13-16

Lied: Vertraut den neuen Wegen

Predigt

Wo wohnt Gott?

Eine kindliche Frage. Und eine große theologische Frage. Wohnt er in den Menschen, die das Leben schmackhaft machen, die die Würze in der Suppe sind, das Salz der Erde? Wohnt er in denen, die es bei uns hell werden lassen, wie die Kerze auf einem Leuchter? Wohnt er in denen, die sich leiten lassen von Gott und aufbrechen in eine bessere Zukunft? Oder vielleicht auch in solchen, bei denen es gerade dunkel ist? Oder wohnt Gott jenseits alles Fassbaren, weit entfernt über den Wolken und rechtet dort mit uns?

Der Prophet Jesaja im Alten Testament lässt Gottes Stimme ertönen, die da sagt:

„Machet Bahn, machet Bahn! Bereitet den Weg, räumt die Anstöße aus dem Weg meines Volks! Denn so spricht der Hohe und Erhabene, der ewig wohnt, dessen Name heilig ist: Ich wohne in der Höhe und im Heiligtum und bei denen, die zerschlagenen und demütigen Geistes sind, auf dass ich erquicke den Geist der Gedemütigten und das Herz der Zerschlagenen. Denn ich will nicht immerdar hadern und nicht ewiglich zürnen; sonst würde ihr Geist vor mir verschmachten und der Lebensodem, den ich geschaffen habe. Ich war zornig über die Sünde ihrer Habgier und schlug sie, verbarg mich und zürnte. Aber sie gingen treulos die Wege ihres Herzens. Ihre Wege habe ich gesehen, aber ich will sie heilen und sie leiten und ihnen wieder Trost geben; Als Schöpfer sorge ich dafür, dass die Trauernden Loblieder auf den Lippen haben.

שָׁלֹום שָׁלֹום לָרָחֹוק וְלַקָּרֹוב אָמַר יְהוָה

Friede, Friede denen in der Ferne und denen in der Nähe, spricht der HERR;

ich will sie heilen. Aber die Gottlosen sind wie das ungestüme Meer, das nicht still sein kann und dessen Wellen Schlamm und Unrat auswerfen. Die Gottlosen haben keinen Frieden, spricht mein Gott.“

(Jesaja 57, 14-19)

Wo wohnt Gott?

Wir haben gerade gehört, wie der Prophet Jesaja Gott sagen lässt:

Ich wohne in der Höhe und im Heiligtum und bei denen, die zerschlagenen und demütigen Geistes sind, auf dass ich erquicke den Geist der Gedemütigten und das Herz der Zerschlagenen. (Jesaja 57,15)

Suchen wir Gott einmal aus den Augen eines Kindes. Ich nehme Sie mit auf den Spaziergang einer Mutter mit ihrer Kleinen:

Eine Mutter geht mit ihrem Kind an der Hand eine Straße entlang. Da fragt das Kind: “Mama, wo wohnt Gott?”

Aus dem Nichts kam diese Frage. Es hätte auch fragen können: “Mama, warum ist das Erdbeereis rot?”

Verlegen fährt sich die Mutter durch die Haare. Diese Frage hatte sie sich lange nicht mehr gestellt. Jemand sagte mal, Gott säße im Himmel auf einer Wolke, aber daran glaubte sie jetzt nicht mehr.

Gerade wollte sie anheben zu einem seufzenden “Ich-weiß-es-nicht”, da hört sie einen Jungen auf dem Bolzplatz rufen: “Hey, schaut mal, ein Regenbogen!” Die Kinder unterbrechen ihr Fußballspiel und einen Moment lang ist etwas anderes wichtig als Schwitzen und Gewinnen. Ein ganzer Bolzplatz voller Jogginghosen und Ronaldo-Trikots hält inne und staunt. Und da findet die Mutter ihre Worte wieder: “Gott ist da, wo wir staunen. Manchmal auch in einem Regenbogen.”

Mutter und Kind laufen weiter Hand in Hand die Straße entlang. Aus einer nahegelegenen Kirche ist Orgelmusik zu hören. Die Organistin probt. “Soll ich dir einen Ort zeigen, wo Menschen Gott suchen?”, fragt die Mutter ihr Kind? Während das Kind noch über den Regenbogen grübelt, überqueren die beiden die Straße und betreten die Kirche. Da lässt das Kind unvermittelt die Hand seiner Mutter los, steht einfach da, sucht mit den Ohren die Musik, legt den Kopf in den Nacken, bis es die Empore erblickt und darüber den gewölbten Himmel des Hauptschiffes. Die Mutter meint, ein Glänzen in den Augen des Kindes zu entdecken. “Gott ist da, wo das Schöne eine Form gefunden hat.”, sagt die Mutter beim Hinausgehen. 

Einen kleinen Weg haben die beiden noch zu gehen. Das Kind ist jetzt nachdenklich.

Als sie an einem Spielplatz vorbeikommen, läuft das Kind zum Sandkasten und beginnt, Sand in die Förmchen zu füllen. Er ist schön fest und haftet gut. Auf der Bank sitzt ein etwas verlotterter, junger Mann. Er lässt seinen Kopf hängen und sieht traurig und einsam aus. Da stapft das Kind auf ihn zu, in der Hand sein schönstes Sandförmchen, blickt den traurigen Mann an und stülpt dann vor ihm das Förmchen um: ein Schloss aus Sand. “Gott ist da, wo das Schöne ein Förmchen gefunden hat”, denkt das Kind und der Mann strahlt.

Ich wohne in der Höhe und im Heiligtum und bei denen, die zerschlagenen und demütigen Geistes sind, auf dass ich erquicke den Geist der Gedemütigten und das Herz der Zerschlagenen.

Suchen wir Gott einmal mit den Augen und Ohren derer, die die Musik lieben. Ich nehme Sie mit nach Spanien, in der einmal diese Szene zu erleben war:

Sabadell, eine Kleinstadt in Spanien nördlich von Barcelona am frühen Abend. Belebte Cafés, Eis in der Waffel, Kinder spielen, Radfahrer passieren, schöne Frauen flanieren, Alte sitzen auf Parkbänken. Mitten auf der Plaza beginnt ein edel gekleideter Bassist auf seinem Kontrabass zu spielen. Neugierige blicken auf. Eine Cellistin gesellt sich zu ihm, begleitet sein Stück. Kinder werfen Münzen in den Hut.

Aus einer Seitengasse nähern sich Oboen und Violinen. Sie alle stimmen ein in dieselbe Melodie. Immer mehr Menschen bleiben stehen. Ein kleines Mädchen erklimmt die Straßenlaterne, um besser sehen zu können. Touristen zücken ihre Kameras, Geschäftsleute halten inne.

Ein T-Shirt-Träger beginnt zu dirigieren, die Kinder drängen sich nach vorne, staunen, dirigieren ein bisschen mit, tanzen. Eine Pauke wird herangetragen, Blechbläser treten aus der anderen Richtung zum Vorschein. Weitere strömen hinzu, stimmen ein in das gigantischen Orchester, das sich da Stück für Stück mitten auf dem Platz gebildet hat. Noch ein Paukenschlag und dann ertönt auf einmal ein ganzer Chor von der anderen Seite. Spätestens jetzt ist kein Halten mehr. Es ist Beethovens Neunte:

Freude, schöner Götterfunken,
Tochter aus Elysium,
Wir betreten feuertrunken,
Himmlische, dein Heiligtum!
Deine Zauber binden wieder
Was die Mode streng geteilt;
Alle Menschen werden Brüder,
Wo dein sanfter Flügel weilt.

Es ist die Musik, die Hunderte an diesem Abend in Spanien spontan zusammenführte und sie einen unvergesslichen Moment teilen ließ, alles andere war für diesen Augenblick nicht wichtig.

Für mich ist das ein religiöses Ereignis. Und das, obwohl es ein Flashmob ist, den die Bank Sabadell als Hommage an ihre Gründerstadt organisiert hat. Es gibt ein wunderbares Video davon auf Youtube. Ich sehe dort an diesem Platz, in den Gesichtern der Menschen, Gott Wohnung nehmen. Ich denke, es ist wegen der Unverfügbarkeit solcher Momente. Was passiert da eigentlich? Man fühlt sich auf seltsame Weise verbunden mit allen, die gerade zuhören. Man schwingt in einer Harmonie, die sich danach gleich wieder auflöst. Wie ein sanfter Flügel, der einen Augenblick verweilt. Am Ende dieses berühmten Flashmobs in Sabadell gingen die Menschen wieder ihrer Wege. Aber anders als zuvor. Geküsst von einem Götterfunken.

Ich wohne in der Höhe und im Heiligtum und bei denen, die zerschlagenen und demütigen Geistes sind, auf dass ich erquicke den Geist der Gedemütigten und das Herz der Zerschlagenen.

Eine dritte und letzte Szene. Wir suchen Gott in einer Begegnung, die Leben aufblühen lässt, wo es beinahe verdorrt war.

Ein alter Mann hält den Kopf gesenkt. Er sitzt im Rollstuhl; ist zu schwach, um noch zu gehen. Der Blick fixiert ein Muster auf dem Teppichboden. Ein Löffel scheppert. Schnabeltassen. Es riecht nach kaltem Kaffee und Pantoffeln. Ein Altenheim, für ihn eine Tristesse. Er hat vergessen, wer er ist, spricht kaum noch; nichts hat mehr eine Bedeutung für ihn. Leere. Graustufen im Gesicht.

Da tritt Sam in sein Leben. Sam ist ein junger Musiker und jobbt nebenher als Pfleger im Seniorenheim. Er nimmt sich Zeit, erzählt dem Mann von seiner Leidenschaft für Bandmusik und auf einmal erwacht der gebückte Greis aus seiner Starre, blickt auf. Blaue Augen hat er. Jetzt glänzen sie. Er sucht Worte, gebrochen und leise beginnt er zu erzählen von seinem früheren Leben als Jazzmusiker. Jetzt, mit 93 Jahren, ist das lange vorbei. Sam hat eine Idee, treibt irgendwo ein E-Piano auf und setzt den alten Mann an die Tasten. Jazzklänge ertönen und Leben erwacht in den alten Knochen. Freudentränen in den Augen der Ehefrau, die ihren Mann zuvor so abwesend erlebte. Jetzt war er wieder da. Ein Aufruf in der Zeitung und den sozialen Medien reicht, um die alten Bandmitglieder des Mannes zu mobilisieren. Im ganzen Land verstreut. Nach 30 Jahren. Und dann dieses Konzert. Der Garten des Altenheims blüht, ein lauer Abend, alte Damen mit großen Hüten und Lippenstift, Bläser, eine E-Gitarre, ein Schlagzeug und Edward, der demente alte Mann, am Jazz-Piano. Nie war ein Mensch so glücklich und das Leben so reich.

Ich wohne in der Höhe und im Heiligtum und bei denen, die zerschlagenen und demütigen Geistes sind, auf dass ich erquicke den Geist der Gedemütigten und das Herz der Zerschlagenen.

Wo also wohnt Gott?

Im Staunen über einen Regenbogen, in der Schönheit einer Kirche, in der Freude über ein unerwartetes Geschenk, in Klängen, die uns verzaubern, im Wieder-Aufblühen eines verloren geglaubten Lebens.

Gott ist dort, wo das Leben schmackhaft ist und das Dunkel hell wird, dort, wo Trost gespendet wird, wo Trauernde Loblieder auf den Lippen haben, wo das ungestüme Meer der Gottverlassenen sich glättet, und Frieden einkehrt. Amen.

Lied: Du bist da

Fürbitten mit Zwischengesang

Vaterunser

Lied: Gehn wir in Frieden (Gesangbuch, Nr. 560)

Bekanntgaben

Segen

Orgelmusik zum Ausgang

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