Jahresempfang 2023

von | 16. Januar 2023

Drei Kurzpredigten zur Arche Noah

Teilt 1 l Uli Bandt

Igors Vater war in seinen besten Jahren der König der Behringstraße gewesen. Er wog mehr als eine halbe Tonne und wenn er sich zu voller Größe aufrichtete, war er über drei Meter groß. Er hatte Weltgeschichte miterlebt. Damals 1987, als eine 30-jährige Amerikanerin, von der kleinen zur großen Diomeden-Insel schwamm und dort freundlich von russischen Offizieren empfangen und beschenkt wurde. Sie habe als Sportlerin den Eis-Vorhang durchbrochen hieß es in Anspielung auf den Eisernen Vorhang, der sich ja erst zwei Jahre später zu lichten begann.

Igors Vater hatte das alles als noch junger Eisbär von einer dicken Eisscholle aus beobachtet. Er verstand nicht viel von Politik, doch in den folgenden Jahren und Jahrzehnten musste er feststellen, dass nicht nur das politische, sondern auch das richtige Eis immer mehr schmolz. Es schmolz so stark und schnell, dass er kurz vor seinem Sterben Igor das Versprechen abnahm, sich auf den Weg zu begeben auf der Suche nach einer neuen Heimat, in der er und seine Nachfahren besser würden leben können, auch wenn es dort vielleicht keine Robben, sondern nur noch Beeren und Früchte geben würde. Aber in der weiteren Verwandtschaft hatte es schon einige Vegetarier gegeben….

Und nun saß Igor hier, im Haus des Noah. Am Berge Ararat auf 2000 Meter Höhe. Abgemagert war er und selber schon alt geworden. Freilich längst nicht so alt, wie Noah, der schon fast 600 Jahre zählte. Sie hatten sich angefreundet, auch wenn Haikal, Noahs Frau oft schimpfte, wieviel Dreck Igor ins Haus brächte.

Igor hatte sich schon oft mit Noah gestritten. „Wenn ihr Menschen wirklich die intelligentesten Wesen seid, wie könnt er dann so idiotisch eure und unsere Lebensgrundlagen zerstören!?“ Doch solch provozierende Fragen konnten Noah nicht aus der Ruhe bringen.

Noah, das bedeutet nämlich „Ruhe“ oder der „Beruhigende“. Und Noah schien über die Jahrhunderte seines Lebens immer eine Arschruhe gehabt zu haben. Es regte ihn nicht auf, dass auf dem Ararat, selbst in 5000 Meter Höhe, kein Schnee mehr lag. Dass die Sonne in den Sommern alles verdorrte. Die Rauchschwaden riesiger Brände den Himmel verdunkelten. Dass kein einziger Vogel, ja keine Mücke, seit Jahren sich sehen ließ. Die Wissenschaftler würden sich schon etwas einfallen lassen, beruhigte er Igor und Haikal. Wenn der Druck groß genug wurde, fand sich doch immer noch ausreichend Geld und eine Lösung.

Und wenn denen nichts einfiel, war da doch immer noch der Alte. Noah war nämlich sein Liebling, vielleicht so eine Art Patensohn. Den würde der Alte, der doch alles vor Jahrmillionen so wunderbar gemacht hatte, ganz bestimmt nicht hängen lassen.

Aber er hatte sich lange schon nicht mehr gemeldet. Jahrzehnte! Und das war schon etwas unheimlich. Denn mittlerweile regnete es schon seit Monaten. Ohne Unterbrechung. Am Anfang war es ein riesiges Aufatmen: In diesem Sommer endlich keine Dürre, keine Feuer.

Aber nun waren die Täler vollgelaufen und im Wasser trieben ganze Häuser, Bäume und Autos. Unmöglich für Igor, dort auf Fischfang zu gehen. Strom gab es schon lange nicht mehr. Für das Solarpanel auf dem Dach war es viel zu düster. Keine Nachrichten, kein Telefon.

„Willst du nicht endlich irgendwas machen?“, fragte Igor Noah ungeduldig, als der völlig durchnässt vom Erkundungsgang vor der Haustür zurückkehrte.

„Tja, was soll man da schon machen“, erwiderte Noah. „Wir werden warten müssen, dass der Alte sich meldet. Der lässt uns nicht hängen. Irgendwann wird er das Wasser schon stoppen.“ Und in Richtung des Schlafzimmers rief er: „Haikal! Hast du Lust mit Igor und mir ne Runde Rummikub zu spielen?“

Teil 2 l Isabel Klaus

(folgt noch)

Teil 3 l Esther Joas

Noah ist Deutschlands beliebtester Name für Jungen im Geburtsjahr 2022. Ob die Eltern wissen, was es mit diesem Namensgeber auf sich hat?

Das hebräische nacha/noach heißt ruhen, ausruhen, sich still und abwartend verhalten. Noah also der Ruhende. In der Erzählung von der Sintflut ist das eine rettende Tugend.

Was war passiert?

Als Gott die Welt erschuf, da heißt es im ersten Kapitel der Bibel: „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte und siehe, es war sehr gut.“ (Gen 1,31) So muss Gott die Welt gedacht haben: sehr gut.

Aber schon vor Jahrtausenden war den Menschen klar, dass das ein Idealbild ist, von dem unsere Wirklichkeit abweicht. Und so lässt die Bibel Gott schmerzlich erkennen, wie weit weg Mensch und Tier von seiner gut gedachten Ordnung sind. Nur wenige Kapitel später, am Anfang der Sintfluterzählung, lesen wir in einer parallelen Formulierung: „Und Gott sah an die Erde und siehe, sie war verderbt.“ (Gen 6,12)

Die Geschichte von der Arche Noah fußt auf einst weit verbreiteten altorientalischen Erzählungen. Sie alle berichten, dass die Götter eine vernichtende Flut brachten, weil die Menschheit nur Schlechtes im Sinn hatte. Aber einen oder wenige Auserwählte ließen sie in einer Arche überleben. Am Ende bringen die Überlebenden einen kultischen Dank und die Götter versprechen, die Erde in Zukunft zu bewahren. Und das, obwohl sich der Mensch nicht bessert.

Warum war diese Erzählung über die Kulturen und Jahrtausende hinweg so wichtig? Ich denke, es ist der Umgang mit der unerträglichen Diskrepanz, der Widersprüchlichkeit zwischen der idealen und der erlebten Welt, zwischen diesem „sehr gut“ und dem mehr oder weniger Verdorbenen.

Auch wir sind weit weg von diesem „sehr gut“ der Schöpfungsgeschichte. Dabei waren die Menschen noch nie so gesund wie heute, lebten noch nie länger, nie gab es so viel gesellschaftliche Gleichheit, nie so viel Freizeit und Komfort. Aber wir sind weit weg von ideal. Denn wir teilen diese Erde mit bald 10 Milliarden Menschen und unser Planet ächzt und krankt unter den Ansprüchen, die wir an ihn stellen. Naturkatastrophen liegen hinter uns und viele stehen uns noch bevor. Aber Gott hat einen Regenbogen aufgerichtet als Zeichen seines Versprechens an uns Menschen: nie wieder soll die Welt in einer Katastrophe versinken.

Und doch erleben wir Katastrophen. Nicht weltumgreifend, aber dennoch tragisch. Auch im eigenen Leben gilt es bildhaft, Fluten zu überstehen. Manchmal gilt es, zu kämpfen, aber manchmal eben auch, auf Hoffnungszeichen zu warten.

Und da kommt Noah wieder ins Spiel. Noah, der Ruhende. Lange vor dem Eintreten der Flut hatte er Gottes Auftrag in sich gehört und eine Arche nach genauen Anweisungen gebaut. Sie ist rechteckig wie ein Tempel, völlig untauglich für die wogende See, aber entscheidend ist, dass hier ein Schutzraum Gottes bereitsteht. In ihn treten Noah und seine Familie und all die Tiere ein – und was geschieht dann?

Sie harren aus. Was draußen passiert, können sie nur ahnen in ihrem geschlossenen Archekasten. 40 Tage, eine andere Quelle berichtet von 150 Tagen, die so vergehen. Noah ruht und wartet. Irgendwann scheint es draußen ruhiger zu werden und das Wasser abzunehmen. Und jetzt holt sich Noah Hilfe. Mensch und Tier sind aufeinander angewiesen in diesem Schutzraum Gottes. Ein Rabe fliegt aus und sucht nach Land. Aber er kommt wieder zurück. Dann lässt Noah eine Taube Ausschau halten. Beim ersten Mal kommt auch sie wieder zurück. Wie zärtlich Noah sie empfängt. Die Bibel schreibt: „Da streckte er seine Hand aus, nahm sie und holte sie zu sich in die Arche.“ Wieder warten sie eine Woche. Dann schickt Noah die Taube erneut aus. Als sie mit einem frischen Olivenblatt zurückkehrt, weiß Noah, dass es wieder trockenes Land geben muss. Nochmal warten sie sieben Tage. Als dann die Taube beim dritten Mal nicht mehr zurückkehrt, da ist Noah sicher, dass die Flut beendet ist.

Noah, der Ruhende, wartet in der Krise. Langsam und zart wächst seine Hoffnung. Und dann bringt die Taube Noah eine Botschaft: Leben ist wieder möglich! Öffne deine Türen und tritt heraus!

So ist Noahs Taube zur Friedenstaube für alle Welt geworden – ein Symbol der Hoffnung, wo alles ausweglos erscheint.

Friede soll mit euch sein. Amen.

Lied: Friede soll mit euch sein / Unfriede herrscht auf der Erde

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