Glaube, der heilt | Esther Joas

von | 22. Januar 2023

Gottesdienst von Pastorin Esther Joas am 22. Januar 2023

Orgel: Ernst Richter l Wie schön leuchtet der Morgenstern

Begrüßung

Lied: Ich sing dir mein Lied

PsalmKyrie-LiedGebetGloria-Kanon: Lobe den Herrn meine Seele

Lesung:  Mt 8, 5-13

Lied: Ich möchte Glauben haben (EG 596)

Predigt zu Römer 1, 13-17

Ich beginne meine Gedanken mit Zeilen aus einem Brief. Paulus schrieb ihn gut zwanzig Jahre nach Jesu Tod und Auferstehung an die christlichen Hausgemeinden in Rom. Es müssen schon viele gewesen sein, aber sie erfuhren Unterdrückung und mussten ihren Glauben und ihre Lebensweise verbergen. Außerdem gab es Streit zwischen denen, die als Jüdinnen und Juden zum christlichen Glauben gefunden hatten und denen, die als Nicht-Juden an Christus glaubten, die nannte man „Heiden“ oder auch stellvertretend „die Griechen“. Dieser Streit prägte die ersten 50 Jahre des Christentums und findet immer wieder Erwähnung in den neutestamentlichen Schriften: Muss man als Christ zum auserwählten Gottesvolk gehören und die jüdischen Vorschriften beachten oder hat Jesus Christus das nicht alles aufgelöst und den Glauben an den Gott Abrahams für alle Menschen zugänglich gemacht? Für Paulus war der Gedanke, dass sein jüdisches Volk den Christus nicht annimmt, unerträglich. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es so weit ist, sagte er sich. Wenn das Reich Gottes Wirklichkeit wird, dann werden es zuerst die Juden erkennen und dann alle Welt.

Paulus schreibt zu Beginn des Briefs, dass er es leider immer noch nicht geschafft habe, zu ihnen nach Rom zu kommen, aber alles in seiner Macht Stehende tue, bald zu kommen. Er möchte sie bestärken auf ihrem Weg, aber er sehnt sich auch danach, durch ihren Glauben getröstet zu werden.

Und danach schreibt Paulus folgende programmatische Worte:

Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen. Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht (Hab 2,4): ‚Der Gerechte wird aus Glauben leben.‘

Diese Zeilen haben den Mönch Martin Luther vor gut 500 Jahren zu seiner reformatorischen Erkenntnis verholfen. Ich lese mal vor, was er damals dazu geschrieben hat:

Mit außerordentlicher Leidenschaft war ich davon besessen, Paulus im Brief an die Römer kennenzulernen. Nicht die Herzenskälte, sondern ein einziges Wort im ersten Kapitel (Vers 17) war mir bisher dabei im Wege: ‚Die Gerechtigkeit Gottes wird darin (im Evangelium) offenbart.‘ Ich haßte nämlich dieses Wort ‚Gerechtigkeit Gottes‘, weil ich durch den Brauch und die Gewohnheit aller Lehrer unterwiesen war, es philosophisch von der formalen oder aktiven Gerechtigkeit (wie sie es nennen) zu verstehen, nach welcher Gott gerecht ist und die Sünder und Ungerechten straft. Ich konnte den gerechten, die Sünder strafenden Gott nicht lieben, im Gegenteil, ich haßte ihn sogar. Wenn ich auch als Mönch untadelig lebte, fühlte ich mich vor Gott doch als Sünder, und mein Gewissen quälte mich sehr. Ich wagte nicht zu hoffen, daß ich Gott durch meine Genugtuung versöhnen könnte. Und wenn ich mich auch nicht in Lästerung gegen Gott empörte, so murrte ich doch heimlich gewaltig gegen ihn: Als ob es noch nicht genug wäre, daß die elenden und durch die Erbsünde ewig verlorenen Sünder durch das Gesetz des Dekalogs mit jeder Art von Unglück beladen sind – mußte denn Gott auch noch durch das Evangelium Jammer auf Jammer häufen und uns auch durch das Evangelium seine Gerechtigkeit und seinen Zorn androhen? So wütete ich wild und mit verwirrtem Gewissen, jedoch klopfte ich rücksichtslos bei Paulus an dieser Stelle an; ich dürstete glühend zu wissen, was Paulus wolle. Da erbarmte sich Gott meiner. Tag und Nacht war ich in tiefe Gedanken versunken, bis ich endlich den Zusammenhang der Worte beachtete: ‚Die Gerechtigkeit Gottes wird in ihm (im Evangelium) offenbart, wie geschrieben steht: der Gerechte lebt aus dem Glauben‘. Da fing ich an, die Gerechtigkeit Gottes als eine solche zu verstehen, durch welche der Gerechte als durch Gottes Gabe lebt, nämlich aus dem Glauben. Ich fing an zu begreifen, daß dies der Sinn sei: durch das Evangelium wird die Gerechtigkeit Gottes offenbart, nämlich die passive, durch welche uns der barmherzige Gott durch den Glauben rechtfertigt, wie geschrieben steht: ‚Der Gerechte lebt aus dem Glauben.‘ Da fühlte ich mich wie ganz und gar neu geboren, und durch offene Tore trat ich in das Paradies selbst ein. Da zeigte mir die ganze Schrift ein völlig anderes Gesicht. Ich ging die Schrift durch, soweit ich sie im Gedächtnis hatte, und fand auch bei anderen Worten das gleiche, z.B. ‚Werk Gottes‘ bedeutet das Werk, welches Gott in uns wirkt; ‚Kraft Gottes‘ – durch welche er uns kräftig macht; ‚Weisheit Gottes‘ – durch welche er uns weise macht. Das gleiche gilt für ‚Stärke Gottes‘, ‚Heil Gottes‘, ‚Ehre Gottes‘. Mit so großem Haß, wie ich zuvor das Wort ‚Gerechtigkeit Gottes‘ gehaßt hatte, mit so großer Liebe hielt ich jetzt dies Wort als das allerliebste hoch. So ist mir diese Stelle des Paulus in der Tat die Pforte des Paradieses gewesen. (Aus der Vorrede zu Band I der Wittenberger Luther-Ausgabe, 1545)

Alles klar soweit? Luther ist im Paradies und Sie? Es ist nicht schlimm, wenn Sie nicht alles verstanden haben, habe ich auch nicht.

»Der Gerechte wird aus Glauben leben.« So schreibt es Paulus an die Gemeinden in Rom. Und dieser Satz beflügelte Martin Luther.

Ich habe an dieser Stelle schon mal gesagt, dass die berühmte Rechtfertigungslehre nicht der Dreh- und Angelpunkt meines christlichen Selbstverständnisses ist. Demnach bin ich also keine gute Protestantin. Aber versuchen wir, Luthers großer Erkenntnis auf den Grund zu gehen.  

Es geht bei der Bibelstelle im Römerbrief um das Evangelium, die frohe Botschaft, sie lautet zusammengefasst: im Glauben an Jesus Christus, seinen Tod und seine Auferstehung, findest du die Freiheit zum Leben, jetzt und ‚im Himmel, der kommt‘. Und es geht in der Bibelstelle um die Kraft Gottes, die selig macht. Wer darauf vertraut, wie der Hauptmann von Kapernaum, durch den strömt diese seligmachende Kraft. Sie kann Menschen heilen lassen, sagt die Bibel. Wer aus diesem Glauben lebt, der ist im biblischen Sinn ‚gerecht‘, der kann vor Gott bestehen. Gerecht ist demnach nicht, wer die Tora befolgt, wer Gesetz und Ordnung hält, sondern, wer an die Kraft Gottes glaubt. Gott ist es, der das bewirkt.

Entscheidend ist für mich die Frage, was darauf folgt.  

Der Glaubende/die Glaubende, also die aus dem Geist Gottes Lebende, so Paulus im Fortgang des Römerbriefs, ist frei von Enge und Angst. Sie muss den Tod nicht fürchten, sie muss ihre menschlichen Abgründe nicht fürchten, sie muss auch den Ausstoß aus dem sozialen Netz und dem Bund mit Gott nicht fürchten. Sie ist nun frei, um den Geist Gottes wehen zu lassen. Paulus spielt mit den Begriffen und beschreibt diese neu gewonnene Freiheit als ‚Dienst an der Gerechtigkeit‘.

Der Hauptmann von Kapernaum ist dem heutigen Predigttext zur Seite gestellt. Warum? „Sprich nur ein Wort, und mein Diener wird gesund!“, sagt der Offizier zu Jesus.

Ist es das, was Paulus – und mit ihm Luther – als gerecht machenden Glauben verstehen? Darauf vertrauen, dass Gott durch den Geist Christi so etwas möglich ist? Einen Kranken aus der Ferne heilen, der nicht mal weiß von seinem Glück? Und das geht ja noch weiter bei Jesus: Darauf vertrauen, dass Hungrige satt werden können ohne Kalorien, dass Schiffsbrüchige nicht ertrinken müssen in der stürmischen See, dass Gerechten Barmherzigkeit widerfahren wird.

Ich sehe sie so nicht, Luthers Pforte zum Paradies, den befreienden Glauben. Ich sehe Hungrige, die sterben, Schiffsbrüchige, die ertrinken und Gerechte, die hingerichtet werden. Wäre die biblische Antwort darauf: „Na, dann haben sie halt nicht genug geglaubt?“

Das will ich nicht hören. Das ist unbarmherzig und zynisch. Dann könnte man die Bibel in die Tonne treten. Mir egal, ob ich dann eine Gerechte bin oder nicht.

Ich will nochmal zurück zu dem Satz: „Das Evangelium ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die glauben.“ (Röm 1, 16) „Glaube, der heilt“, so habe ich den heutigen Gottesdienst betitelt, eine Kraft Gottes, die selig macht.

Die Frage ist doch, wie wir unsere Existenz begründen, wie wir Sinn finden in dem, was wir tun. Die Gesundheits- und Sicherheitsbranche bereichert sich an der Angst vor dem Tod. Machtgierige Menschen und Gruppen missbrauchen die Angst vor unseren eigenen Abgründen. Mode und Marketing arbeiten mit der Angst vor dem Verstoßenwerden.

Paulus argumentiert im Römerbrief, dass der Glaube an die Kraft Gottes uns von diesen Ängsten befreit und uns unmittelbar in den Dienst der Gerechtigkeit führt, oder anders gesagt: Befreit von der Angst lassen wir den Geist Gottes wehen.

Es muss diese Befreiung von Angst gewesen sein, die Martin Luther an die Pforten des Paradieses geführt hat. Und immerhin hat ihm diese Erkenntnis die Kraft verliehen, Millionen Menschen aus der von der mittelalterlichen Papstkirche geschürten Höllenangst zu befreien und neu über unsere Existenz und unsere Aufgaben nachzudenken.

Ich tue mir schwer, zu glauben wie der Hauptmann von Kapernaum, den meisten wird das so gehen. Solchen Glauben gibt es vielleicht nach aller Zeit, in dem ‚Himmel, der kommt‘. Aber manchmal gibt es doch Momente, da weht der Geist Gottes, weil jemand sich durch seinen Glauben freimachen konnte von den Ängsten, die uns eng und klein machen. Dann wirkt da eine andere Kraft und auf einmal ist Heilung möglich, eine ganz neue Sicht auf alte Wunden. Wo Angst und Zwang war, entsteht Nahbarkeit, Liebe, Verbundenheit, vielleicht auch der Anfang heilsamer Gerechtigkeit. So ein Moment ist dann wie ein Gruß von der Erde an den Himmel, der kommt. Amen.     

Lied: Der Himmel, der ist, ist nicht der Himmel, der kommt (EG 153)

Fürbitten mit Zwischengesang: bonum est confidere

Vaterunser

Bekanntgaben 

Lied: Komm, Herr, segne uns (EG 170)

Segen

Orgel: Dietrich Buxtehude: Nun lob mein Seel den Herren

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