Du sollst dir kein Bildnis machen | Esther Joas

von | 08. November 2022

Gottesdienst am 6. November 2022

Orgel

Begrüßung

Lied für die Kinder: In jedem Schritt, in jedem Tritt

Verabschiedung der Kinder

Psalm 63, 2-9

Gott, du bist mein Gott, den ich suche. Es dürstet meine Seele nach dir, mein Leib verlangt nach dir aus trockenem, dürrem Land, wo kein Wasser ist. So schaue ich aus nach dir in deinem Heiligtum, wollte gerne sehen deine Macht und Herrlichkeit. Denn deine Güte ist besser als Leben; meine Lippen preisen dich. So will ich dich loben mein Leben lang und meine Hände in deinem Namen aufheben. Das ist meines Herzens Freude und Wonne, wenn ich dich mit fröhlichem Munde loben kann; wenn ich mich zu Bette lege, so denke ich an dich, wenn ich wach liege, sinne ich über dich nach. Denn du bist mein Helfer, und unter dem Schatten deiner Flügel frohlocke ich. Meine Seele hängt an dir; deine rechte Hand hält mich.

Gebet

Ewiger, wir sehnen uns nach Begegnung, nach Sinnlichkeit, nach dem, was wir begreifen können. Das Unbegreifliche ist so unendlich fern! Lass uns dich finden, im Begrenzten, im Sinnlichen, in den Menschen, die uns begegnen. Aber lass uns nicht vergessen, dass du mehr bist als all das. Dass jedes Bild nur ein Abbild ist und dahinter die unendliche Möglichkeit des ganz Anderen. Amen.

Lied: Meine engen Grenzen

Lesungen zum biblischen Bilderverbot

Exodus 20

4 Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: 5 Bete sie nicht an und diene ihnen nicht!

Dtn 4

13 Und er verkündigte euch seinen Bund, den er euch gebot zu halten, nämlich die Zehn Worte, und schrieb sie auf zwei steinerne Tafeln. 14 Und der HERR gebot mir zur selben Zeit, euch Gebote und Rechte zu lehren, dass ihr danach tun sollt in dem Lande, in das ihr zieht, es einzunehmen. 15 So hütet euch um eures Lebens willen – denn ihr habt keine Gestalt gesehen an dem Tage, da der HERR mit euch redete aus dem Feuer auf dem Berge Horeb –, 16 dass ihr euch nicht versündigt und euch irgendein Bildnis macht, das gleich sei einem Mann oder einer Frau, 17 einem Tier auf dem Land oder Vogel unter dem Himmel, 18 dem Gewürm auf der Erde oder einem Fisch im Wasser unter der Erde. 19 Hebe auch nicht deine Augen auf zum Himmel, dass du die Sonne sehest und den Mond und die Sterne, das ganze Heer des Himmels, und fallest ab und betest sie an und dienest denen, die der HERR, dein Gott, zugewiesen hat allen Völkern unter dem ganzen Himmel.

Apg 7

48 Aber der Höchste wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind, wie der Prophet spricht: 49 »Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel meiner Füße; was wollt ihr mir denn für ein Haus bauen«, spricht der Herr, »oder was ist die Stätte meiner Ruhe? 50 Hat nicht meine Hand das alles gemacht?«

Röm 1

Was man von Gott erkennen kann, ist unter ihnen offenbar; denn Gott hat es ihnen offenbart. 20 Denn sein unsichtbares Wesen – das ist seine ewige Kraft und Gottheit – wird seit der Schöpfung der Welt, wenn man es mit Vernunft wahrnimmt, an seinen Werken ersehen.

Lied: Liebe, die du mich zum Bilde (EG 401, 1-2.4-5)

Predigt

Ich beginne mit einem Tagebucheintrag von Max Frisch aus seinen literarischen Tagebüchern der Jahre 1946-1949.

„Es ist bemerkenswert, dass wir gerade von dem Menschen, den wir lieben, am mindesten aussagen können, wie er sei. Wir lieben ihn einfach. Eben darin besteht ja die Liebe, das Wunderbare an der Liebe, dass sie uns in der Schwebe des Lebendigen hält, in der Bereitschaft, einem Menschen zu folgen in allen seinen möglichen Entfaltungen. Wir wissen, dass jeder Mensch, wenn man ihn liebt, sich wie verwandelt fühlt, wie entfaltet, und dass auch dem Liebenden sich alles entfaltet, das Nächste, das lange Bekannte. Vieles sieht er wie zum ersten Male. Die Liebe befreit es aus jeglichem Bildnis. Das ist das Erregende, das Abenteuerliche, das eigentlich Spannende, dass wir mit den Menschen, die wir lieben, nicht fertigwerden; weil wir sie lieben, solange wir sie lieben.

Man höre bloß die Dichter, wenn sie lieben; sie tappen nach Vergleichen, als wären sie betrunken, sie greifen nach allen Dingen im All, nach Blumen und Tieren, nach Wolken, nach Sternen und Meeren. Warum? So wie das All, wie Gottes unerschöpfliche Geräumigkeit, schrankenlos, alles Möglichen voll, aller Geheimnisse voll, unfassbar ist der Mensch, den man liebt – Nur die Liebe erträgt ihn so.

Unsere Meinung, dass wir das andere kennen, ist das Ende der Liebe, jedes Mal, aber Ursache und Wirkung liegen vielleicht anders, als wir anzunehmen versucht sind – nicht weil wir das andere kennen, geht unsere Liebe zu Ende, sondern umgekehrt: weil unsere Liebe zu Ende geht, weil ihre Kraft sich erschöpft hat, darum ist der Mensch fertig für uns. Er muss es sein. Wir können nicht mehr! Wir künden ihm die Bereitschaft auf, weitere Verwandlungen einzugehen. Wir verweigern ihm den Anspruch alles Lebendigen, das unfassbar bleibt, und zugleich sind wir verwundert und enttäuscht, dass unser Verhältnis nicht mehr lebendig sei.

“Du bist nicht”, sagt der Enttäuschte oder die Enttäuschte: “wofür ich Dich gehalten habe.” Und wofür hat man sich denn gehalten? Für ein Geheimnis, das der Mensch ja immerhin ist, ein erregendes Rätsel, das auszuhalten wir müde geworden sind. Man macht sich ein Bildnis. Das ist das Lieblose, der Verrat.

Du sollst dir kein Bildnis machen, heißt es von Gott. Es dürfte auch in diesem Sinne gelten: Gott als das Lebendige in jedem Menschen, das, was nicht erfassbar ist. Es ist eine Versündigung, die wir, so wie sie an uns begangen wird, fast ohne Unterlass wieder begehen – ausgenommen, wenn wir lieben.“

Soweit Max Frisch. Dieser Schweizer Architekt und Schriftsteller bezeichnete sich selbst nicht als Glaubenden. Er suchte in der Begegnung mit den Menschen, was ihn beflügelt und Sinn verleiht.

Mit dem jüdisch-christlichen Bilderverbot findet er eine Analogie zur Liebe zwischen Menschen. Das Bild begrenzt, das Bild lässt erstarren, was lebendig ist. Es ist das Ende einer Beziehung.

Max Frisch hat in seinem Leben viele Beziehungen geführt und beendet. Die Liebe endete und damit erstarrte sein Gegenüber zum Bild – oder es war umgekehrt, darüber denkt Max Frisch nach.

Ich mache einen kurzen Ausflug in das biblische Bilderverbot und komme dann zurück auf Max Frisch.

Das jüdische Bilderverbot ist in der altorientalischen Kulturgeschichte analogielos. Keine Religion, kein Kult war ohne Bildnisse denkbar. Es geht einher mit der Vorstellung des All-Einen Gottes, dem Monotheismus, der in seiner Strenge und Ausschließlichkeit ebenfalls einzigartig war. Es ist überliefert, dass andere Kulturen unverständig auf Israel blickten; es wurde aufgrund der Bildlosigkeit sogar für ein Volk ohne Gott, ein atheistisches Volk, gehalten. Andere, gerade griechische Denker, erkannten darin eine philosophischere Vorstellung des Göttlichen.

Heute wissen wir, dass das Bilderverbot eine vergleichbar späte Tradition des Alten Israel ist. Zuvor galt es nur, keine fremden Götter anzubeten. Und anbeten war immer verbunden mit Bilderkult. Man schmückte und küsste die Kultstatuen und -bilder, räucherte und opferte ihnen; überall in der Antike war das so. Die Götter galten als im Bild präsent. Im jüdisch-christlichen Kontext wurde das als „Götzendienst“ verurteilt. Christen nannten zum Beispiel die Prozession in Rom, wenn alljährlich die Götterstatuen in das Forum Romanum gefahren wurden, „pompa diaboli“: Teufelsprozession. Es war ihnen ein Graus.

Archäologische Funde zeigen aber ein Reichtum an Statuen und Kultbildern in Israel. Jungstierbilder dienten der Jahwe-Verehrung. Aschera wurde als Frauenstatue verehrt. Es gab auch das Statuenpaar von „Jahwe und seiner Aschera“. Im vorexilischen Jerusalemer Tempel hing womöglich ein Jahwe-Kultbild und gerade in den Häusern findet man eine rege Kultbild-Frömmigkeit, einen Ikonismus.

Kulturgeschichtlich kann man das babylonische Exil als Beginn der Bildlosigkeit verorten. Man emanzipierte sich vom Bilderkult. Der überbordende Bilderreichtum Babylons galt als Ärgernis. Das jüdische Volk war fern der möglichen Statuen oder Bilder Jahwes und begann, die Bilder zu entmystifizieren und auf philosophisch-rationale Weise Gott zu verehren. (Umso reicher wurde dafür die Bildersprache.)

Aber Gottheiten bildhaft zu verehren war und ist Menschen ein tiefes Bedürfnis. Geistliche Erfahrung verlangt nach sinnbildlicher Veranschaulichung. Selbst die jüdisch-fundamentalen Makkabäer aus dem 2. Jh. V. Chr. trugen in ihren Verteidigungskriegen Amulette mit den Gottheiten von Jamnia bei sich; das wissen wir aus literarischen Auseinandersetzungen. Auch die Christen rangen mit der Bedeutung des Bildes. Im Byzantinischen Bilderstreit im 8./9. Jahrhundert ging es um die Frage, ob Christus und die Heiligen darstellbar sind. Die göttliche Natur könne darin ja nicht eingefangen werden. Wie wir aus der reichen Ikonografie der Ostkirchen wissen, haben sie die Frage anders beantwortet als die Päpste in Rom. Diese haben erst später und auf andere Weise eine Legitimation des Bildnisses gefunden. Martin Luther verurteilte in der Reformation zwar den Bilderkult, also die Anbetung des Bildes und die Vorstellung, sich dadurch bei Gott etwas zu verdienen, aber er schätzte die Bilder als ästhetische und auch didaktische Mittel, ebenso das Kruzifix. Die Radikalität der Bilderstürmer verurteilte Martin Luther scharf. Bildhaftigkeit zu verbieten, fand Luther kleingeistig, engstirnig, am Wesentlichen vorbei. In Folge der Schweizer Reformatoren Zwingli und Calvin wurde das strikte Bilderverbot im reformierten Bekenntnis festgeschrieben. Darüber habe ich letzte Woche gesprochen, als es um die reformiert-calvinistische Tradition in Bremen und in St. Remberti ging. In dem Zweiten Helvetischen Bekenntnis heißt es: „Damit aber die Menschen im Glauben unterwiesen und über gött­liche Dinge und ihre Seligkeit belehrt werden, hat der Herr befohlen, das Evangelium zu predigen (Mk. 16, 15), aber nicht zu malen oder mit Malerei das Volk zu lehren. (…) Zweifellos ist da keine Religion, wo ein Bild ist“.

Was kann die Idee der Bildlosigkeit für uns bedeuten?

Bevor ich auf die wunderbare Analogie von Max Frisch eingehe, verweise ich auf den jüdischen Philosophen Emanuel Levinas. Er erkennt Unendlichkeit und Transzendenz überall dort, wo man die Grenze des Ich verlässt und sich auf den ‚Anderen‘ einlässt. Im Antlitz des anderen Menschen wird das Unbegreifliche deutlich. Seine Philosophie ist auf feingeistige Weise um das jüdische Bilderverbot zentriert. Er schreibt:

“Die Nähe rührt nicht von einem Bild her, von nichts, was erscheint. Die Nähe reicht von Seele zu Seele, außerhalb aller Manifestation im Sinne eines Phänomens, außerhalb aller Gegebenheit.” (Jenseits des Seins, 1974). Die Nähe zum ‚Anderen‘ erstarrt nach Lévinas zur Struktur, sobald das Antlitz des Anderen wahrgenommen wird als sichtbar und darstellbar. Das Bild ist auf der Suche nach dem Ganzen, nach der vollständigen Gegenwart, aber das Nicht-Ich ist unbegreiflich. Dem Anderen zu begegnen, bedeutet, von einem Rätsel wachgehalten zu werden, es ist Nicht-Übereinstimmung.

Wenn Gottes Name im Alten Testament als der Ich-Bin-Der-Ich-Bin gedeutet wird und Gott in Jesus Christus als einer verstanden wird, der uns als Mensch begegnet, dann liegt es nicht fern, die Gottesbegegnung als eine zu deuten, die in der Beziehung zum ‚Anderen‘ real wird. Indem ich aus mir heraustrete, begegne ich Gott.

Und da haben Emanuel Levinas und Max Frisch einen ähnlichen Gedanken: Sobald ich mein Gegenüber in ein Bild presse, ist keine lebendige, wandelbare Beziehung mehr möglich. Es bedarf der Liebe, um diese Grenzenlosigkeit auszuhalten.

Wenn wir also vom lebendigen Gott sprechen, dessen unendliches Wesen die Liebe ist, dann ist jedes Bild eine Begrenzung und eine Versteinerung. Gott von ganzem Herzen lieben, bedeutet dann, auf ein Bild zu verzichten. Die Unabgeschlossenheit der Geschichte, das Noch-Nicht und Schon-Jetzt, die freudige Erwartung auf das Kommende macht die Lebendigkeit unseres christlichen Glaubens im Besonderen aus. Davon erzählt das Lied, das wir im Anschluss singen werden.

Ich schließe mit Max Frisch, wie ich ihn eingangs zitierte:

„Du sollst dir kein Bildnis machen, heißt es von Gott. Es dürfte auch in diesem Sinne gelten: Gott als das Lebendige in jedem Menschen, das, was nicht erfassbar ist. Es ist eine Versündigung, die wir, so wie sie an uns begangen wird, fast ohne Unterlass wieder begehen – ausgenommen, wenn wir lieben.“

Amen.

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