Wenn die biblischen Frauen zusammenkommen und dann noch auf Rosa Luxemburg und Coco Chanel treffen…
Als erstes kam Sarah. Misstrauisch beäugte sie die Tür. Daran war ein Schild. Das konnte sie nicht lesen. Sie sah sah sich noch einmal um, keiner zu sehen, dann schlüpfte sie hinein. Ein großer Raum. Eine lange Tafel. Keine Kissen, wie sie es aus ihrem Beduinenzelt kannte. Stattdessen unbequeme Dinger auf vier Beinen. Sie setzte sich. Still war es.
Dann kam ausgerechnet Hagar. Na, das musste nun wirklich nicht sein. Dieses kleine Biest. Sie sahen sich kalt an. Grüßten sich nicht. Hagar setzte sich.
Dann kamen gleich zwei. Maria und Marta. Die stritten wieder. Wehe, du gehst mir wieder nicht zur Hand. Ach, hör doch auf, konterte Maria, du musst auch mal zuhören lernen. Dieses ewige hin und her Gewusel. Die Küche ist ja nun wahrlich nicht alles im Leben.
Als die beiden Sahra und Hagar sahen, verstummten sie. Natürlich kannten sie die. Setzten sich still. Und schwiegen das paulinische Schweigen.
Dann kamen Ruth und Noomi. Natürlich ging die eine dahin, wohin die andere ging. Die konnten gar nicht anders. Setzten sich natürlich auch nebeneinander. Mein Platz ist auch dein Platz.
Dann erschien die Hauptrednerin des Abends. Klein. Die Haare hochgesteckt. Die Taille abgeschnürt, so dass man alles sehen konnte. Die biblischen Damen waren entsetzt. Aber Rosa Luxemburg ging an den Kopf der Tafel, lächelte und setzte sich. Sie freute sich, dass schon einige gekommen waren und stellte eine Photographie auf den Tisch. Darauf waren ihre Vorbilderinnen zu sehen: Anita Augspurg, Marie Stritt, Lily Braun, Mina Cauer und Sophie Goudstikker aus dem Jahre 1895. Sie kämpften vor ihr für die Frauenrechte.
Dann hüpfte Miriam herein. Sie hatte Maria Magdalena im Schlepptau. Sie tanzten und summten. Sarah verdrehte die Augen. Diese jungen Hühner, dachte sie. Hüpfen und tanzen, als würde das Leben nichts wiegen.
Ihr hinterher kam Luise Schottroff gehüpft, eine Kapazität im Fachbereich feministische Theologie, und setzte sich neben Rosa.
Und dann kam Hildegard von Bingen im mittelalterlichen Nonnengewand.
Als kurz nach ihr Eva eintrat, erstarrten alle. Nein. Die durfte nun wirklich nicht hier sein. Hatte sie ihnen doch all das eingebrockt mit ihrer dämlichen Wissbegierigkeit und dann dieser Schurz aus Feigenblättern.
Hildegard von Bingen hielt sich die Hand vor die Augen. Das waren zu viele weiblichen Reize. Da wurde selbst Maria Magdalena rot und die war ja nun wahrlich kein Kind von Traurigkeit.
Schließlich kam Maria, die Mutter von Jesus. Hildegard hielt die Luft an. Noch nie hatte sie die Mutter Gottes getroffen. Sie war der Ohnmacht nahe. Sarah kräuselte die Nase. Ihr Isaak war genauso wichtig wie dieser Jesus. Da war sie sich ganz sicher.
Und dann kam Coco Chanel. Da hielten alle die Luft an. Sarah traute ihren Augen nicht. War das ein Mann oder eine Frau. Es trug Hosen. Einen Hut. Eine – was auch immer – viel zu kurze Jacke. Das konnte keine Frau sein. Nein. Eine Männin. Oder so. Coco setzte sich. Sah sich um. Sie besah sich die Kleider der Damen. Vor ihr saß die gesamte Weltgeschichte der Frauenmode:
- Die Urfrau barbusig mit einem Schurz aus Feigenblättern um die Hüfte.
- Die Beduinengewänder, weit, lang, verhüllend.
- Der Umhang der Mutter Gottes war gar nicht blau und das Kleid nicht rot. Schien doch eine Verklärung der Kunst zu sein.
- Hildegard trug ein schwarzes Nonnengewand, das war Coco sympathisch, erinnerte sie an ihre Kindheit in der Obhut der Nonnen.
- Die arme Rosa, dachte Coco, eingeschnürt und im Korsette gefangen.
- Die Luise kam ihr vernünftig vor. Ein Rock, leicht überm Knie. Modern erschien sie ihr.
Und dann kam ich, leicht verspätet. Aber immerhin endlich da. Ich sah in die Runde und die Runde sah mich an. Sarah legte die Hand vor den Mund. Vielleicht waren es die kurzen Haare? Die Brille, die ich trug? Oder doch der Talar, den ich mir übergeworfen und noch nicht zugeknöpft hatte? Irgendetwas schien sie zu irritieren, aber Rosa machte der staunenden Runde ein Ende und brach das unangenehme Schweigen. Sie hatte extra das Orginalmanuskript von 1912 dabei, das sie für den 2. Sozialdemokratischen Frauentag geschrieben hatte. Und sie gab sich auch keine Mühe uns alle auf das vorzubereiten, was sie gleich sagen würde. Es kam so unvermittelt, dass selbst Coco Chanell und Luise Schottroff aus ihrer emanzipierten Selbstverständlichkeit kippten:
Her mit dem Frauenwahlrecht! Heute sind die Frauen an der Reihe. Denn die Rechtlosigkeit der Frau ist heute in Deutschland ein Glied in der Kette, die das Leben fesselt.
In dem heutigen groß-kapitalistischen, hochindustriellen Deutschland, im Zeitalter der Elektrizität und der Luftschifffahrt, ist die politische Rechtlosigkeit der Frau genau ein so reaktionäres Überbleibsel alter abgelebter Zustände wie die Herrschaft des Gottesgnadentums auf dem Throne. Beide Erscheinungen: das Instrument des Himmels als tonangebende Macht des politischen Lebens und die Frau, die züchtig am häuslichen Herde saß, unbekümmert um die Stürme des öffentlichen Lebens, um Politik und Klassenkampf: sie beide wurzeln in den vermorschten Verhältnissen der Vergangenheit.
Doch Monarchie wie auch die Rechtlosigkeit der Frau sind heute zu einer lächerlichen Karikatur auf die Menschheit geworden. Sie bestehen jedoch in der heutigen modernen Gesellschaft weiter, nicht etwa deshalb, weil man vergessen hätte, sie wegzuräumen, nicht aus bloßer Beharrlichkeit und Trägheit der Zustände. Nein, sie sind noch da, weil beide – Monarchie wie Rechtlosigkeit der Frau – zu mächtigen Werkzeugen volksfeindlicher Interessen geworden sind.
Deshalb sage ich: Her mit dem Frauenwahlrecht! Heute sind die Frauen an der Reihe.
Die biblischen Damen waren wie vom Donner gerührt. Sarah fragte sich, was ein Wahlrecht sei. Hagar blieb bei dem Wort hochindustriell hängen. Eva hing an den Luftfahrtschiffen. Miriam hatte das mit der Elektrizität nicht ganz verstanden.
Aber eines war ihnen dann doch irgendwie bekannt vorgekommen und dann räusperte sich Ruth als erste: Die Rechtlosigkeit der Frau. Wir hatten nie irgendwelche Rechte. Auch in der Bibel nicht. Und Noomi trat ihr zur Seite und sagte, ja, Ruth hat recht. Deine Gedanken sind auch meine Gedanken. Wir beiden, haben es am eigenen Leib erlebt. Wie ihr alle es erlebt habt. Eine jede von euch konnte nur deshalb in der Geschichte Gottes mit den Menschen auftauchen, weil ihr entweder Stammmütter wart wie Eva, Sahra oder Hagar, Maria oder Elisabeth oder weil ihr mit dem Leben von einem der großen biblischen Männer verwoben wart wie Miriam oder Maria Madalena. Aber wir hatten alle keine Rechte. Und dann wurde es ganz still. Noch stiller als das paulinische Schweigen. Als würde die Geist Gottes über der Tafel schweben, an der sie saßen, wie einst über den Wassern am Anfang der Welt.
Der nächste Redebeitrag kam von Luise Schottroff:
Die Zeit des Schweigens ist vorbei. Nehmt es Rosa Luxemburg nicht übel. Sie musste so hart kämpfen, damit die vielen nach ihr nicht mehr kämpfen müssen. Das Frauenwahlrecht war in ihrer und unserer Zeit eine große Errungenschaft.
Ihr aber, liebe Eva, Sarah, Hagar, Miriam, Ruth und Noomi, Maria und Elisabeth, Maria Magdalena und die vielen anderen Frauen, die wir in der Bibel finden konnten, ihr habt uns Mut gemacht, auch wenn ihr ohne Rechte wart.
Ihr seid unsere Mutmacherinnen. Ihr habt mich inspiriert, die Bibel neu zu lesen. Sie in eine gerechte Sprache zu übersetzen. Ihr habt mich ermutigt in der Bibel den Klang der Weiblichkeit zu suchen und auch Gott diese weibliche Seite zu zutrauen.
Die weibliche Seite Gottes? Das Entsetzen der Frauen – aller – war förmlich greifbar. Gott als Frau? Sarah sah zu Maria. Maria sah zu Eva. Der Herr der Herrlichkeiten eine Frau?
Der Schöpfer der Welt eine Gebärerin? Mama?
Blasphemie! dachte Maria, die aus dem Bekreuzigen gar nicht mehr herauskam. Doch dann meldete sich Hildegard von Bingen, sie erzählte von ihren Visionen:
Es sind überwiegend Frauen, die in meinen Visionen zu Trägerinnen der göttlichen Botschaft werden. Durch die Frau, die als Liebe und Weisheit in der Mitte des Weltgeschehens ruht, spricht Gott selbst. Und so wandelte sich mein Gottesbild hin zur Weisheit-Liebe einer göttlichen Frau.
Sarah hielt sich die Hand aufs Herz und atmete schwer. Und Eva saß da in ihrer gottgegebenen Nacktheit und ihre Brüste sahen in die Runde wie lachende Sonnen. Und sie sagte: Oh Göttin! Dann hätte sie doch auch aus meiner Rippe einen Adam machen können! Alles wäre heute anders. Und Ruth und Noomi fassten einander an den Händen und lächelten einander an. Sie wussten es längst, dass Gott auch von tiefer weiblicher Schönheit erfüllt war.
Und dann war ich an der Reihe: Ich bin Pastorin, sagte ich. Keine Heilige, aber Theologin. Geisteswissenschaftlerin. Seelsorgerin. Ich bin euch allen dankbar. Jeder einzelnen. Denn ihr habt eine Delle in die Weltgeschichte geschlagen. Und diese Delle ist heute meine Sternenkuppel, unter der ich als Frau, gleichberechtigt arbeiten und leben kann. Nicht gänzlich, aber weitgehend. Auch Remberti hat es im Jahre 2012 nach mehr als 450 männerlastigen Jahren geschafft, erstmals eine Frau als Pastorin zu wählen. Und stellt euch vor heute im Jahr 2021 sind wir sogar zu zweit! Ich darf mich Pastorin nennen. Hey! Das ist hier in Bremen und in der gesamten evangelischen Kirche lange Zeit nicht so gewesen. Die erste Theologin, die in Bremen ordiniert wurde war Charlotte Schulz. Ordination 1947. Nur “Pastorin” durfte sie sich nicht nennen. Sie blieb ihr ganzes Berufsleben lang “Vikarin”. Den Titel “Pastorin” dürfen Frauen in Bremen erst seit 1962 tragen.
Das klingt jetzt wieder so typisch Kirche. Voll verstaubt. Dieser Laden. Nicht wahr, Hildegard? Aber das stimmt nicht. Die Kirche ist auch nur ein Teil der gesellschaftlichen Entwicklungen.
In der Bundesrepublik dürfen Frauen:
- erst seit 1958 selbst entscheiden, einen Führerschein zu machen,
- seit 1962 dürfen sie ohne Zustimmung ihres Ehemannes ein eigenes Konto eröffnen
- und erst seit 1977, mein Geburtsjahr, dürfen Frauen ohne Zustimmung ihres Mannes eine Arbeit aufnehmen.
Also da war die Bremische Kirche dann doch recht flott, wenn man so will.
Und wir diskutieren heute, ob der Frauentag ein Feiertag sein soll. Das finde ich absurd. Weil ich finde, ja, auf alle Fälle, sollten die Ladys einen Feiertag haben. Die Männer haben sich einfach die Himmelfahrt unter den Nagel gerissen. Oder sollen wir wirklich glauben, dass die Bollerwagen ziehenden Männerhorden an Himmelfahrt Jesus huldigen wie er auf einer Wolke in den Himmel auffuhr? Na hör, mal.
Um es in Evas Sinne zu sagen: Ich hab doch nicht umsonst vom Baum der Erkenntnis gegessen.
Um es in Anlehnung an Rosa Luxemburg zu sagen: Her mit dem Frauentag! Heute sind die Frauen an der Reihe. Denn wir haben noch eine ganze Menge zu tun.
Also her mit dem Frauentag!