Sonntagspredigt von Pastorin Isabel Klaus
Der Herbst ist da. Kastanien und Eicheln knallen wie Silvesterfeuerwerk auf den Asphalt. Die Sonne leuchtete in den vergangenen Tagen wie ein letzter Sommergruß. Für viele ist der Herbst ein Angang. Er drückt die Stimmung, sagen manche, liegt bleiern auf dem Gemüt. Solche Tage hat der Herbst bestimmt auch. Für mich ist der Herbst ein Poet, ein Dichter.
Bunt sind schon die Wälder
Gelb die Stoppelfelder
Und der Herbst beginnt
Rote Blätter fallen
Graue Nebel wallen –
Kühler weht der Wind
Es ist eines der bekanntesten Herbstlieder. Ich musste es damals in der Schule lernen und ich mochte es sehr. Immerhin ein Lied ohne Tählmannpioniere und wehende Fahnen. Dieses Lied beschreibt den Herbst ganz liebevoll. Warm wirkt der Herbst. Und gar nicht beängstigend. Stolz lässt das Lied die Früchte des Sommers aufleuchten.
Wie die volle Traube
Aus dem Rebenlaube
Purpurfarbig strahlt!
Am Geländer reifen
Pfirsiche mit Streifen –
Rot und weiß bemalt
Immer wenn ich das Lied höre, sehe ich unendlich weite Stoppelfelder vor mir. Ich denke dann an mein liebes Vogtland, mit seinen Hügeln und Feldern und seinen bunten Wäldern. Die vogtländischen Nadelwälder! Die fehlen mir doch sehr im Norden. Und ich merke wie mir weit ums Herz wird.
Der Herbst ist ein Dichter. Es gibt unendlich viele wunderbare Gedichte. So zum Beispiel eines von Friedrich Hebbel:
Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah,
die Luft ist still, als atmete man kaum
und dennoch fallen raschelnd fern und nah
die schönsten Früchte ab von jedem Baum.
O stört sie nicht die Feier der Natur,
dies ist die Lese, die sie selber hält,
denn heute löst sich von den Zweigen nur,
was vor dem milden Strahl der Sonne fällt.
Auch Hebbel öffnet den Blick in eine weite Landschaft mit Obstbäumen und Herbsthimmel. Die einzige Bewegung, die er wahrnimmt, sind die fallenden Früchte. Sie fallen in eine erfüllte Einsamkeit hinein. In eine Einsamkeit, die gern einsam ist. Hebbel erlebt hier einen besonderen Moment: Er sieht den Atem der Natur.
die Luft ist still, als atmete man kaum
und dennoch fallen raschelnd fern und nah
die schönsten Früchte.
O stört sie nicht die Feier der Natur!
Und fast hat man einen Vers aus dem Hohelied der Liebe Salomons in den Ohren:
Ihr Töchter Jerusalems,
weckt die Liebe nicht aufweckt,
bis es ihr selber gefällt!
* * *
Rote Blätter fallen
Graue Nebel wallen –
Kühler weht der Wind
Der Herbst singt von der Vergänglichkeit, vom Vergehen und dann wieder vom Werden – “irgendwann” – nur nicht jetzt. Das berühmteste Gedicht stammt von Rilke
Die Blätter fallen,
sie fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten,
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.
Welch traurige Wucht! Und welch tiefsinniges Bild Rilke hier mit Worten malt. Rilke sieht einen Himmel, in dem Gärten schweben. Einen Himmel, in dem diese Gärten welken. Die Blätter, die aus diesen Himmelsgärten fallen, verheißen nichts Gutes. Sie raunen von einem sterbenden Himmel. Einem sterbenden Gott. Und Rilke hält nicht inne, sondern entfaltet die ganze schwere Wucht:
Und die schwere Erde fällt
aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Auch das haftet dem Herbst an. Vielen macht das zu schaffen. Das Tageslicht – viel zu kurz. Alle verkriechen sich in ihren 4 Wänden. In diesem Jahr noch mehr als sonst. Die Wucht, mit der die Zahlen steigen, schockt uns alle. Und wir stehen davor und können eigentlich nichts tun, als uns so gut als eben möglich zu schützen. Abstand. Händewaschen. Masken tragen. Weniger Freunde besuchen. Weniger Familie sehen. Und die Einsamkeit wird groß sein.
Aber dann müssen wir eben wieder mehr telefonieren. Einfach mal anrufen. Das dürfen und sollen sie bei mir gern jederzeit. Ich bin da. Mein Kollege ist da. Bald auch die neue Kollegin. Ich weiß, dass der Anruf beim Pastor, oder der Pastorin großen Hemmschwellen ausgesetzt ist. Das ist ganz unnötig in Remberti. Hängen sie diesen Anruf nicht so hoch. Es muss ja nicht immer gleich Seelsorge sein. Manchmal will man ja einfach nur mal klönen. Das geht auch mit der Pastorin, aber das wissen die meisten, eigentlich. Also niedrige Hemmschwelle! Wollte nur mal hörn, wie‘s ihnen so geht. Das ist doch ein Grund!
Zurück in die Arche – heißt es nun wieder. Oder um es mit Wilhelm Busch zu sagen:
Was ist das für ein Gesause!
Es stürmt bereits und schneit.
Da bleiben wir zu Hause
In trauter Verborgenheit.
Ich hoffe, dass wir die Kirchen möglichst lange offenhalten können. Zum Schluss ein Gedicht von Hans Magnus Enzensberger: „Empfänger unbekannt“
Vielen Dank für die Wolken
Vielen Dank für das wohltemperierte Klavier
Und warum nicht, für die warmen Winterstiefel
Vielen Dank für mein sonderbares Gehirn
Und für allerhand andere verborgene Organe
Für die Luft und natürlich für den Bordeaux
Vielen Dank für die vier Jahreszeiten
und natürlich für die Erdbeeren auf dem Teller
Gemalt von Chardin,
sowie für den Schlaf,
Für den Schlaf ganz besonders,
Und damit ich es nicht vergesse,
Für den Anfang und das Ende
Und die paar Minuten dazwischen
inständigen Dank,
meinet wegen für die Wühlmäuse drauße
im Garten auch.
Die Poesie des Herbstes! Möge sie uns erfreuen, berühren und tragen, so wie uns Gott durch alle Gezeiten trägt und hält.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.
Pastorin Isabel Klaus